„Mit diesem bescheidenen Wunsch wandte sich die Familie unseres Fahrgastes an unsere Koordinatorin. Aufgrund der fortgeschrittenen schweren Erkrankung blieb nicht mehr viel Zeit und so konnten Dörnte und ich bereits wenige Tage nach der Anfrage zu unserer gemeinsamen Wunschfahrt aufbrechen. Vom Wünschewagen-Standort Elmshorn waren es nur wenige Minuten Fahrt, auf der wir nochmal die Patientenakte durchgehen und uns absprechen konnten.
Am Vormittag wurden wir dann aufgeregt von Rolf, seiner Frau Simone und Sohn Philipp begrüßt. Der Berner Sennenhund Kaspar brachte Herrchens Schuhe direkt ans Bett. Jacke, Mütze und das Nötigste für die Fahrt waren schnell gepackt und dann galt es mit dem Tragestuhl die erste Hürde, das enge Treppenhaus, zu überwinden.
Nachdem wir dies gemeistert hatten, fuhren wir im Wünschewagen über Landstraßen und Autobahn nach Kiel. Der Himmel ließ zwischendurch die Sonne aufblitzen und Rolf konnte die Fahrt genießen. Zu lange schon war er nicht mehr rausgekommen, und jetzt so viele Eindrücke auf einmal…
Gegen Mittag erreichten wir ein kleines Restaurant in Heikendorf, direkt am Wasser. Dort, wo unser Fahrgast seine Kindheit verbracht hatte. Mit dem Rollstuhl ging es zu unserem reservierten Tisch und zu seiner großen Begeisterung saß Rolf wieder an seinem Stammplatz, wie schon vor vielen Jahrzehnten. Was für ein schöner Zufall!
Während wir etwas aßen, konnte unser Fahrgast nur ein wenig an seinem Pfefferminztee nippen. Zu sehr hatte die schwere Krankheit seinem Körper bereits zugesetzt. Aber er genoss den Blick auf die Förde: auf die Schleuse des Kiel-Kanals, die Marine, die Schiffe. Das bekannte Panorama, was er seit über 70 Jahren so gut in Erinnerung hatte.
Wir schoben den Rollstuhl ein wenig an den kleinen Strand, machten einen paar Fotos und Rolf berichtete noch ein wenig aus seiner Kindheit: Wie häufig er klitschnass vom Ostseewasser nach Hause gekommen war und was man alles an diesem kleinen Strand erlebt hatte. Und es wurde noch einmal das Kieler Panorama aufgesogen – das hatte sich unser Fahrgast so sehr gewünscht.
Wir beschlossen gemeinsam, mit dem Wünschewagen und den beiden Söhnen im Begleitfahrzeug noch einmal um die Förde zu fahren. Vorbei an der alten Heimat, der großen Werft mit dem weithin sichtbaren Portalkran, der Hörn und den Fähren, die von Kiel nach Oslo und Göteborg pendeln, die Kiellinie entlang und über die Hochbrücke bis zum Leuchtturm nach Bülk. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick direkt auf die Eckernförder Bucht, die weite Ostsee und die Kieler Förde.
Wir packten Rolf warm ein und schoben ihn behutsam bis kurz vor den Strand, um diesen Ort mit dem Rauschen des Meeres noch einmal genießen zu können. Es wurde still, es flossen Tränen und jedem war klar, dass dies der letzte gemeinsame Moment an diesem Ort sein würde...
Stiller als noch auf der Hinfahrt brachten wir unseren Fahrgast wieder heim. Sonne und Regen wechselten sich ab, wie passend an diesem Tag. Es ging wieder die Treppe hinauf und zurück ins Bett. Der Tag hatte viel Kraft gekostet und nach einer herzlichen Umarmung verabschiedeten wir uns von Rolf und seiner Simone.
Dörnte und ich saßen noch einen Moment im Wünschewagen und ließen die Gedanken nachklingen, ehe wir zurückfuhren. Diese Wunschfahrt hatte so sehr gezeigt, warum wir tun, was wir tun und warum wir alles Erdenkliche möglich machen, um letzte Wünsche noch rechtzeitig zu erfüllen.
Wenige Tage nach unserer Fahrt ist Rolf an seiner schweren Erkrankung verstorben. Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt Simone, Philipp und Benni sowie allen Angehörigen und Freunden.“
Ein Bericht von Gunnar Christiansen, Wunscherfüller aus Schleswig-Holstein.