Einmal noch mit der Familie nach Schilksee

Heute haben wir wieder einen emotionalen Bericht unserer „schreibenden Wunscherfüllerin“ Tinka Beller aus Kiel für Euch. Sie begleitete eine Familie nach Schilksee und erzählt Euch von den immer wieder ganz besonderen Momenten einer Wunschfahrt.

„Als März-Geborene war ich immer ein bisschen neidisch auf meine Geschwister, die im Sommer Geburtstag haben. Ein Geburtstag im Juni oder Juli heißt Erdbeerkuchen, Sonnenschein und Geburtstags-Picknick bei perfektem Wetter.

So, wie heute. Birgit, unsere Wünschewagen-Koordinatorin, hat es extra noch in den Unterlagen vermerkt: ‚Feiert noch ordentlich mit einem Fischbrötchen oder so, schließlich habt Ihr ein Geburtstagskind dabei!‘ Abgesehen davon, dass ich bei Fischbrötchen raus bin, ist es natürlich ein ganz besonderer Tag für eine Wunschfahrt.

Ich tausche FlipFlops gegen Sicherheitsschuhe und fahre nach Gettorf, wo ich im Hospiz am Wohld Andrea (die, wie die anderen Familienmitglieder anders heißt) und Hendrik, unseren heutigen Fahrgast treffe. Es ist Andreas Geburtstag und wir, Vera, Hans und ich, dürfen den Tag mit ihnen und einigen ihrer Lieben, verbringen.

Sie sind ein eingespieltes Team. Andrea weiß, wie Hendrik am besten umgesetzt werden kann, wo es besonders weh tut und wie die Kissen gelegt werden müssen, damit die Beine angenehm gestützt sind. Hans ist ehemaliger Rettungssanitäter der Feuerwehr - und die Ruhe selbst. Das ist etwas, was ich bei allen bisherigen Fahrten wahrgenommen und sehr geschätzt habe. Es geht nicht darum, dass wir als Begleitpersonen uns profilieren und toll finden. Die Fahrgäste und ihre Angehörigen stehen im Mittelpunkt der Fahrt, wir sind da und unterstützen, wo wir können.

Heute geht es nach Schilksee, eine relativ kurze Fahrt. Hans fährt und Vera sitzt vorne neben ihm. Ich bin bei Andrea und Hendrik, wir sprechen über ihre Liebe zu Norddeutschland und zueinander. Dass sie beide aus ganz anderen Teilen Deutschlands kommen und sich während des Studiums kennengelernt haben. Auf einer Faschingsfeier in Kiel. Für die meisten Norddeutschen sind Faschingsfeiern ein absolutes Rätsel, aber für Andrea und Hendrik war es der Beginn einer großen Liebe, die bis heute hält.

Sie erzählen von Nele, ihrer Tochter, die im Mai geheiratet hat. Ich bin hoffnungslos romantisch, wenn es um Hochzeiten und Brautkleider geht und frage nach dem Outfit. Kurzes Nachdenken bei Hendrik. ‚Ein Kleid.‘ Noch einen Moment später: ‚Ein schönes Kleid.‘ Mehr als 30 Jahre Kiel haben ihre Spuren hinterlassen, Hendrik spricht kein Wort zu viel. Andrea zeigt mir ein Foto von der Hochzeit und ich kann nur zustimmen: ein sehr schönes Kleid. Als wir auf dem Parkplatz in Schilksee ankommen, erkenne ich die junge Frau von dem Foto sofort – trotz der Sonnenbrille, die sie heute die meiste Zeit trägt und die vielleicht ein bisschen ihre Traurigkeit verbergen soll.

Die Wege sind übersichtlich, vom Parkplatz zum Strand sind es nur ein paar Minuten zu Fuß. Hendrik sitzt im Rollstuhl, Andrea schiebt, Nele geht neben den beiden. Vera und ich folgen in ein paar Metern Abstand. Sinnbild für den gemeinsamen Tag.

Ein paar Freunde sind gekommen, in wenigen Minuten zaubern sie ein wunderbares Outdoor-Buffet inklusive Geburtstagskuchen und Blumenstrauß für Andrea. Mit großer Herzlichkeit werden wir von der kleinen Runde aufgenommen, die Rahmenbedingungen sind perfekt, strahlender Sonnenschein und genug Platz, um alle Abstandsregelungen einzuhalten.

Hans bringt den Wünschewagen näher zu uns, es ist nicht klar, wie lange Hendrik im Rollstuhl sitzen kann. Die Wege sind zu Fuß gut machbar, schütteln jemanden, der geschoben wird, aber ziemlich durch. Erstaunlich, wie viele Details immer wieder erst auffallen, wenn etwas nicht ‚normal‘ ist.

Andrea erzählte während der Fahrt von ihren gemeinsamen Ausflügen, Hendrik schwärmte vom Stand-Up-Paddeln, das er letztes Jahr noch ausüben konnte. Nicht im Stehen, sondern im Sitzen, aber mit großer Freude. Sie kennen die Gegend gut, sprechen über frühere Ausflüge und besonders bei Andrea habe ich das Gefühl, dass sie jedes Detail in sich aufnimmt.

Hendriks Diagnose wurde erst vor 2 1/2 Jahren gestellt und in manchen Momenten ist spürbar, dass sie gar nicht wirklich begreifen, dass dies der letzte, gemeinsame Geburtstag sein wird. Die Hoffnung, dass mit OP, Chemo und allem, was dazu gehört, eine Heilung erreicht werden kann, gibt es nicht mehr. Jetzt geht es darum, die verbleibende Zeit miteinander zu verbringen und für Erinnerungen zu sorgen, die in schweren Momenten Trost spenden können, soweit es das in untröstlichen Situationen geben kann.

Vera, Hans und ich stehen etwas abseits und unterhalten uns, es ist eine gute Mischung aus Nähe und Distanz. Wir sprechen über Essen, Sport und unsere Familien. Hans erzählt von seiner Enkeltochter, die als Cheerleaderin aktiv ist und dem Freund, der Fußball spielt. Ich schlendere nebenbei mehr oder weniger unauffällig zu dem kleinen Buffet, und höre gerade noch, wie er sagt: ‚Das muss meine Enkeltochter mir mal beibringen!‘ Ich bin beeindruckt und ein bisschen erstaunt. Hans ist sehr groß und, na ja, nicht gerade der Mensch, den ich mir in einem Cheerleader-Kostüm vorstellen kann. Er ist irritiert, dass ich irritiert bin - bis sich herausstellt, dass die Enkelin sich auch mit Stand-Up-Paddeling auskennt. Der Teil ist an mir vorbeigegangen, weil ich mit meinem Kuchen beschäftigt war. Schade, wäre bestimmt auch ein schönes Bild. Während wir reden, gucken wir immer zu der kleinen Gruppe, die sich so offensichtlich freut, diesen Tag miteinander verbringen zu können.

Hendrik genießt die Atmosphäre, Andrea und Nele immer nahe bei ihm. Andrea wird unruhig. Wenn Hendrik zu lange im Rollstuhl sitzt, wird es schwierig; die Mitarbeiterinnen im Hospiz haben eine klare Ansage gemacht. Wir möchten allen eine möglichst lange, gemeinsame Zeit ermöglichen, aber nichts riskieren. Hans holt die Trage aus dem Wünschewagen, gemeinsam helfen wir Hendrik. Liegend, im Schatten, geht es ihm gut.


Die Fahrt ist innerhalb weniger Tage geplant und besprochen worden, Andrea versichert sich mehrmals, ob für uns alles in Ordnung ist. Sie weiß, dass wir ehrenamtlich tätig sind und ist unsicher, wie viel Zeit wir eingeplant haben. Wir bestätigen immer wieder, dass sie die ‚Chefs‘ sind - und wir versuchen, das, was sie möchten, zu erfüllen. Es ist schön, dass sie den Wunsch äußern, noch ein bisschen weiterzufahren, noch mal zum Leuchtturm, einem besonderen Ort. An dem Weg steht eine Absperrung, es ist keine öffentliche Straße. Der Sicherheitsdienst, der an der Zufahrt steht, hält uns an. ‚Hier ist kein Platz für Camper!‘ Äh… Hans spricht ein paar klare Worte, dann klappt es mit der Durchfahrt.

Hendrik bleibt auf der Trage, alles andere wäre zu anstrengend. Der Blick ist wunderschön, die Stimmung etwas wehmütig, alle spüren, dass dieser letzte, wunderbare, gemeinsame Tag bald enden wird. Wir zögern den Moment so lange wie möglich raus, machen Fotos, essen Eis. Hendrik bekommt einen Eiskaffee, der ihn total begeistert.

Und dann ist er da, der Zeitpunkt, um ‚Tschüss‘ zu sagen, der Moment, der auch mir, als Begleiterin, jedes Mal wieder so schwerfällt, wie beim ersten Mal. Hendrik ist müde, das macht es etwas einfacher, zumindest für Andrea und uns. Ich sehe Nele aus den Augenwinkeln, sie plant ihre kirchliche Hochzeit. Ihr Vater, dem sie so liebevoll verbunden ist, wird sie nicht zum Altar bringen können. Ich habe sie vor einigen Stunden das erste Mal gesehen und nur einige Worte mit ihr gewechselt. In diesem Moment fühle ich mich ihr sehr nahe.


Im Hospiz werden wir herzlich empfangen, die Mitarbeiterinnen sind fröhlich und fragen, wie der Tag war. Es müsste mich gar nicht überraschen, dass der Eiskaffee ganz oben auf der Liste der schönen Dinge steht, von denen Hendrik berichtet, trotzdem muss ich ein bisschen lachen. Es sind so häufig die Kleinigkeiten, die als besonders wahrgenommen werden. Hendrik ist müde, er spricht leise und ich muss genau hinhören was er sagt. Wo das Wünschewagen-Bärchen denn jetzt ist, mit dem wir so viele Fotos gemacht haben… In meiner Tasche, aber jetzt bei Hendrik, da, wo es hingehört. Zur Erinnerung an einen wunderschönen Tag, den wir miteinander verbringen durften.

Hendrik hat auch im März Geburtstag. Am gleichen Tag, wie meine beste Freundin. Ich werde an ihn denken.“