„Vorweg: Unser Fahrgast und ihr Sohn baten um Diskretion, keine Namen, keine Fotos. Ich nenne sie daher einfach Frau Wegener.
Meine Kollegin Vera und ich trafen uns eine gute Stunde vor der mit dem Hospiz vereinbarten Zeit am Wünschewagen. Check des medizinischen Equipments auf dem Wagen, Studieren der Patientenakte, erste Ideen spielen lassen, wie wir den Wunsch unseres Fahrgastes bestmöglich realisieren wollen. Nach Büsum soll es noch einmal gehen, Schiffe und Hafen gucken, Eindrücke und Kraft sammeln und die Füße ins Wasser stecken – und viele Krabben essen!
Wir kamen vor der Zeit beim Hospiz an. Kaum durch die Tür, wurden wir herzlich von Frau Wegener und ihrem Sohn begrüßt. Frau Wegener ist eine zierliche Dame mit unheimlich viel Witz und Humor und mindestens einem Schalk im Nacken. Und einem leuchtend roten Hut, mit dem wir sie überall wiederfinden würden. Durch ihre schwere Krankheit kann sie nur noch sehr leise sprechen; aber jeder Kommentar traf gewitzt direkt ins Schwarze. Ein gemeinsamer Kaffee am Tisch, ein erstes herzliches Kennenlernen und schon jetzt viel gemeinsames Lachen.
Die Wegeners waren ihr Leben lang Segler gewesen, daher der Bezug zur Nordsee. Und der Ehemann war vor einigen Jahren dort auf See bestattet worden. Nun sind Vera und ich beide ebenfalls Wassersportler und so entstand sofort ein angeregter Austausch. Folge: direkt verquatscht. Mit 15 Minuten Verspätung brachen wir gut gelaunt endlich auf – um direkt im ersten Stau zu landen: ‚Ich hab‘ doch keine Zeit, mach das Blaulicht an‘, schimpfte Frau Wegener lachend aus dem Fahrgastraum.
Unterwegs erzählte sie uns offen von den schweren vergangenen Monaten und dem verlassenen Lebensmut. ‚Bald darf ich zu meinem geliebten Mann.‘
In Büsum angekommen (ohne Blaulicht), ließ ich Vera und unsere beiden Fahrgäste direkt am Hafen raus. Wir entschieden, den Rolli zu nehmen, schließlich wollten wir so viel wie möglich sehen und erkunden und mussten dabei auf die schwere Krankheit Rücksicht nehmen. Also ging es los, den Hafen entlang mit den Kuttern, Werft und Fahrgastschiffen. Man konnte förmlich zusehen, wie Frau Wegener aufblühte, alles in sich aufsog, während es den Hafen entlang langsam Richtung Westmole ging. Dort angekommen, nahmen sich unsere beiden Gäste viel Zeit, gemeinsam aufs Meer zu schauen, die Sonne und den frischen Wind zu genießen und für sich zu sein.
Anschließend ging es auf dem Deich weiter zur Perlebucht, einer kleinen Nordsee-Lagune. Eine Möglichkeit, mit dem Rolli ganz dicht ans Wasser zu kommen, war schnell gefunden und so standen die Wegeners im Nu im kühlen Nass und genossen sichtlich den Moment. Pläne wurden geschmiedet, doch noch einmal gemeinsam mit dem Enkel hierher zu kommen. Man konnte den wieder aufkeimenden Lebensmut förmlich greifen. Ein berührender Moment für Vera und mich…
‚Jetzt hab‘ ich aber echt Hunger‘, ließ unser Fahrgast uns wissen, also Füße abtrocknen und schnell in ein Restaurant. Es gab Fisch mit Salzkartoffeln und einer Extraportion Krabben. Und zum Erstaunen und zur Begeisterung aller, insbesondere Frau Wegener selbst, wurde der Teller ratzeputz leergegessen. Das hat gut geschmeckt, genauso hatte sie sich das gewünscht.
Im nahen Fischgeschäft wurden noch Krabben für die Mitbewohner aus dem Hospiz geordert. ‚Gehören Sie dazu?‘, fragte mich die Verkäuferin. Bevor ich antworten konnte, kam: ‚Der gehört zu meiner Gang, das ist mein Fahrer!‘ von Frau Wegener. Lachen im ganzen Verkaufsraum. Weiter ging es durch die Innenstadt. Eine neue Mütze musste her, außerdem ein Andenken für den Sohn an diesen tollen Tag mit so viel Lachen und guter Laune.
Unsere Tour endete nach fast fünf Kilometern mit dem Rolli wieder auf dem Deich. Im Gegenlicht glitzerten die Wellen des auflaufenden Wassers, die Segel der auslaufenden Yachten zogen wie an einer Perlenschnur gezogen Richtung See. So viele Erinnerungen kamen hoch, eine Mischung aus Glückseligkeit, Wehmut, Freunde und innerlichem Frieden.
‚Ich habe meinem Mann gerade gesagt, dass ich doch erst später komme. Ich möchte noch ein bisschen Leben‘, gestand uns Frau Wegener. Dieser wunderbare Tag habe ihr wieder neuen Lebensmut gegeben. Die eine Mütze Wind, die es manchmal braucht, um ein Segelschiff in einer Flaute wieder in Fahrt zu bringen.
Müde, zufrieden und unheimlich glücklich über diesen Tag machten wir uns am späten Nachmittag wieder auf den Rückweg. Frau Wegener wurde schon begeistert erwartet, um zu berichten. Wir verabschiedeten und bedankten uns für diesen schönen gemeinsamen Tag mit so viel Sonne, Lachen, Emotionen und Hoffnung.
Leben Sie wohl, liebe Frau Wegener. Von Herzen alles Gute für Sie!“
Ein Bericht von Gunnar Christiansen, Wunscherfüller aus Schleswig-Holstein.