„‘Ich liebe Hochzeiten! Ich liebe alles daran – aber ganz besonders, wie schön die Braut in ihrem Kleid und wie glücklich das Brautpaar aussieht!‘ Oliver und Katharina gucken mich etwas irritiert an. Wir sind das heutige Team im Wünschewagen, kennen uns gerade ein paar Minuten – und schon wissen sie um mein dunkles Geheimnis: Ich gucke gerne Sendungen, in denen es um Hochzeiten geht.
Auf dem kurzen Weg in die Imland-Klinik unterhalten wir uns über die heutige Fahrt. Rainer, unser Fahrgast, möchte an der Hochzeit seines Sohnes teilnehmen. Aufgrund seiner Erkrankung wäre das ohne Wünschewagen nicht mehr möglich, er muss liegend transportiert werden. Mit der Trage gehen wir in Rainers Zimmer und werden von Schwester Dörte herzlich begrüßt. Sie hat Rainer beim Anziehen geholfen. Ein ungewohnter Anblick in einem Krankenhausbett: weißes Hemd, schwarzes Sakko, Krawatte. Er sieht chic aus. Wenn wir es nicht gewusst hätten, hätte er auch der Bräutigam sein können. Kurzes Vorstellen und eine große Überraschung: Wir wohnen in derselben Stadt! Während wir uns über Gemeinsamkeiten austauschen, verlagern wir ihn gemeinsam mit Dörtes Hilfe auf die Trage. Die Bewegungen verursachen ihm Schmerzen, die festliche Kleidung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein schwerkranker Mensch ist.
Im Wünschewagen erzählt Rainer von seiner eigenen Hochzeit. 35 Jahre sind Heike und er verheiratet. Ich bin berührt, als er von ihrem Kennenlernen erzählt. Ohne Dating-App oder Partnervermittlung, in einem Lokal in der Stadt, in der wir wohnen. Dass er sie nicht nach ihrer Telefonnummer gefragt hat, aber wusste, in welcher Straße sie lebt. Wie er diese Straße rauf- und runtergelaufen ist und sich die Namen auf den Klingeln notiert hat. Ein Telefonbuch und viele Telefonate später haben sie sich gefunden – und seitdem nicht wieder getrennt. Rainer hat Tränen in den Augen, wuselige Suche nach Taschentüchern. Wir sind im Wünschewagen, es gibt so ziemlich alles, was man braucht (inklusive Schokolade) – aber bei den Taschentüchern muss Katharina uns aushelfen.
Zwei Söhne und seit letztem Jahr eine kleine Enkeltochter machen die Familie komplett. Rainers Augen leuchten, als er von der Enkelin erzählt. Sie wurde in derselben Kirche getauft, in der heute die Hochzeit seines Sohnes stattfindet. Noch mehr Tränen. Gut, dass wir genug Taschentücher haben. Das Weinen scheint ansteckend zu sein, ich muss ein bisschen blinzeln, Rainers Emotionalität geht mir nahe.
Die Pastorin, die uns vor der Kirche begrüßt, ist sehr herzlich. Wir sind die ersten, die in die liebevoll geschmückte Kirche gehen. Wir stehen so, dass Rainer einen direkten Blick auf den Altar hat. Die Aufmerksamkeit scheint ihm unangenehm, er möchte nicht auffallen, nichts Besonderes sein. Die ersten Gäste trudeln ein. So sehr wir uns um Unauffälligkeit bemühen, zwischen den schönen Kleidern und Anzügen sind wir mit unseren Wünschewagen-Jacken und klobigen Sicherheitsschuhen klar erkennbar.
Viele Freunde und Familienmitglieder begrüßen Rainer liebevoll, einige sind überrascht, ihn zu sehen. Heike, seine Frau, und der jüngere Sohn, umarmen und küssen ihn, bevor sie sich in die erste Reihe setzen. Und dann kommt der große Moment, auf den alle gewartet haben: Das Brautpaar betritt die Kirche. Die Braut in einem wunderschönen, weißen Kleid mit Schleier, der Bräutigam in einem festlichen Anzug. Der Moment, als er Rainer sieht, ist sehr emotional. Griff zum Taschentuch, wir kennen das schon.
Die Pastorin ist umwerfend, die Predigt persönlich und fröhlich. Ihr ‚Amen‘ ist ganz besonders enthusiastisch – und sie sagt es oft. Oliver, Katharina und ich sind nahe bei Rainer, gucken, ob es ihm gut geht oder wir die Kirche verlassen müssen. Er hält sich wacker, schließt ab und zu die Augen, möchte aber bleiben. Die Enkelin kommt nach vorne zum Altar und ist ganz aus dem Häuschen, als sie ihren Opa sieht. Kurzes Kramen, Taschentuch, Enkelin begrüßen. Die Predigt nähert sich dem Höhepunkt, das Paar gibt sich das Ja-Wort. Die Kollekte soll für den Wünschewagen gespendet werden. Was für eine schöne Geste!
Das Wetter ist traumhaft, die Sonne scheint, der Fotograf setzt das Brautpaar immer wieder in Szene. Ein berührendes Bild, Rainer auf der Trage, eingekuschelt in die Sternendecke, seine Familie an seiner Seite. Er überrascht uns immer wieder, trotz seiner Erschöpfung möchte er im Konvoi mitfahren und das Brautpaar zur Feier-Location begleiten. Es ist schwer, in einer solchen Situation den richtigen Zeitpunkt zum Gehen zu finden. Zum Abschiednehmen, mit dem Wissen, dass es vermutlich das letzte, gemeinsame Fest war. Wir sind ganz leise gegangen, so unaufgeregt, wie Rainer es sich den ganzen Tag gewünscht hat. Vor den Reden, vor dem Hochzeitstanz, vor der Torte. Weil er nicht leichter geworden wäre, dieser Abschied.
Im Wünschewagen haben wir noch einmal angestoßen. Mit Wasser, Rainer mit dem Schnabelbecher, vermutlich einem ähnlichen wie der, mit dem Luisa gerade selbständig trinken lernt.
Wir reden wenig, Rainer ist müde und ein bisschen verwirrt. Er greift nach meinen Händen, ‚Ich möchte das spüren.‘ Ich weiß nicht, was er meint, halte ihm aber meine Hände entgegen. Als wir ihn mittags abgeholt haben, waren wir ein bisschen nervös und aufgeregt. Jetzt sind wir vertraut im Umgang und die notwendigen Berührungen fühlen sich selbstverständlich an. Dörte ist wieder bzw. immer noch da. Alles, was wir mittags getan haben, machen wir nun in die andere Richtung. Die Krawatte hängt etwas schief, das Hemd ist zerknittert, wir legen Rainer samt Jackett zurück in sein Bett. Es ist ihm anzusehen, dass er müde ist und Schmerzen hat, jede Bewegung ist zu viel. Als wir uns für den schönen Tag bedanken, lächelt er schief und fragt, ob wir morgen wiederkommen. Leider nicht, Rainer, leider nicht. So besonders, wie die Hochzeit für das Brautpaar war, so besonders war es für uns, dabei sein zu dürfen.
Wie passend die Worte aus der Predigt in diesem Zusammenhang erscheinen: ‚Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.‘“
Ein Bericht von Tinka Beller, Autorin und Wunscherfüllerin aus Schleswig-Holstein.