Fahrten mit dem Wünschewagen sind immer etwas Besonderes. Das liegt in der Natur der Sache: Schwerkranke Menschen bei einem ganz persönlichen Wunsch zu begleiten, da entsteht schnell eine Nähe, die nur schwer zu beschreiben ist. Unsere Wunscherfüllerin Tinka Beller ist seit vielen Jahren als Sterbebegleiterin tätig und weiß, wie nahe man anderen Menschen kommen kann - und wie wichtig es ist, sich nicht zu sehr emotional einzulassen. „Bei aller Empathie und Mitgefühl sind wir Begleitende auf einem kurzen Stück eines langen Weges.“ So leitet sie ihren Bericht über die Wunschfahrt am 23. Oktober nach Niendorf an der Ostsee ein.
„Leben ist endlich - und die Menschen, die wir mit dem Wünschewagen begleiten dürfen, wissen sehr genau um diese Endlichkeit. Mit diesem sicheren Grundgefühl habe ich die heutige Fahrt zusammen mit Dr. Rudolf Kraft, einem erfahrenen Palliativmediziner und Wunscherfüller, begonnen. Wir kennen und mögen uns sehr, sind aber das erste Mal zusammen für eine Fahrt unterwegs gewesen. Ich wusste, dass es etwas Besonderes wird, da ich die Begleitung unseres Fahrgastes ebenfalls kannte. Lutz Blumenthal, ein langjähriger und wunderbarer Kollege aus der Hospizbewegung. Wir waren so etwas wie das „A-Team“ für unseren Fahrgast, besonders, da ich auch ihn schon in mehreren, sehr intensiven Gesprächen kennenlernen durfte.
Der Wunsch unseres Fahrgastes Harry war berührend unaufgeregt. Nach Niendorf, zum Fischessen am Hafen. Und dann, ganz wichtig, zur Fehmarn-Sund-Brücke. Kaum vorstellbar für ein Nordlicht, aber er war tatsächlich noch nie da, hatte es nur in einer Reportage gesehen. Es war wichtig, das einmal mit eigenen Augen zu sehen.
Harry war müde, die Nacht war kurz, er lag lange wach, grübelte, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Der Wünschewagen ist komfortabel, er könnte sich auch hinlegen während der Fahrt und ein bisschen ausruhen, aber sobald wir im Wagen saßen, kehrte die Energie zurück. Nein, er möchte sitzen. Und er möchte, dass ich bei ihm bin. Lutz und Rudolf haben sich unterhalten, Harry und ich die meiste Zeit geschwiegen, aus dem Fenster gesehen, uns über den strahlenden Sonnenschein („Wenn Engel reisen lacht der Himmel!“) gefreut und ein bisschen über das Leben philosophiert. Mit 90 Jahren hat Harry schon viel erlebt, Berührendes, Lustiges, Trauriges. Wie den Tod seiner Frau, die er immer noch, auch nach vielen Jahren noch so unglaublich vermisst, dass er am liebsten bei ihr wäre. „Ich wäre am liebsten tot!“ - ganz ruhig sagt er das. „Aber wenn Sie tot sind, können wir doch gar keinen Fisch essen gehen!“ - Manchmal ist die Antwort ganz einfach.
Niendorf hat uns mit spätsommerlichen Temperaturen empfangen, wir konnten draußen sitzen und die Wärme genießen. Harrys Wunsch zu sterben war nach Scholle und Bier auch nicht mehr so präsent wie noch während der Fahrt. Er fing an, jede Sekunde mit allen Sinnen wahrzunehmen, die Abwechslung zum tristen Alltag im Heim, die Sonne auf dem Gesicht und die Zugewandtheit von uns, die wir ihn begleitet haben. Mit jedem Moment wurde er wacher und aufmerksamer, die Frage nach „Sitzen oder Liegen?“ auf der Fahrt nach Heiligenhafen stellte sich gar nicht mehr. In der gleichen Konstellation, Rudolf und Lutz vorne, Harry und ich hinten, haben wir uns auf den zweiten Teil der Reise gemacht.
Der Wünschewagen verfügt über alles, was man sich an Komfort vorstellen kann. Die Panormamafenster ermöglichen einen tollen Blick während der Fahrt, im Sitzen oder Liegen. Es ist alles vorhanden, was man für einen Notfall braucht - und ein Fach mit Süßigkeiten. Ich habe ein Karamellbonbon gelutscht und wusste im gleichen Moment, dass ich diesen Geschmack für immer mit diesem Tag in Verbindung bringen würde.
Es ist, wie es ist - und mit dem Wünschewagen ist es oft ganz besonders. Da gibt es auf einmal Parkplätze, wo eigentlich nie etwas frei ist, oder Menschen, die aus fahrenden Autos winken und lächeln. In Heiligenhafen gab es auch diesen besonderen Ort, da, wo man ganz dicht ans Wasser fahren kann und einen freien Blick auf die Brücke hat.
Wir sind ausgestiegen, mit dem Rollstuhl ans Ufer gefahren - und Harry hat uns alle bewegt. Ich danke meinen Kollegen für ihr Feingefühl und die Momente, die ich erleben durfte.
Harry und ich standen am Wasser, den Blick auf die Brücke, das Geräusch der Wellen, ein einzelnes, kleines Boot auf dem Wasser. „So sollte es sein. Ich habe mir nie vorgestellt, wie es sein könnte. Aber genau so sollte es sein. Als ob da jemand Regie geführt hat und das alles genau so geplant hat!“, sagte Harry, und fing an zu weinen. Und ich, erfahrene Sterbebegleiterin, gleich mit. Es ist schwer, die Intensität dieses Augenblicks zu beschreiben, das tiefe Gefühl von Verbundenheit, das uns, so unterschiedlich wir sind, verbunden hat. Mit großer Gelassenheit und Wärme haben Rudolf und Lutz diese Situation begleitet, ebenfalls berührt als Harry sagte: „Diesen Augenblick nehme ich mit nach Drüben!“
Es gibt Momente, in denen es gar nicht viele Worte braucht. Das war so ein Moment. Harry hat meine Hände sehr fest gehalten: „Ich möchte diesen Augenblick festhalten. Genau so.“
Auf der Fahrt zurück haben wir sehr wenig gesprochen, ich habe Harry zugedeckt, eingekuschelt wie ein Kind saß er im Wagen, immer wieder mit Tränen in den Augen. Es ist immer schwer, sich nach einer Fahrt von den Fahrgästen, die wir im Normalfall nie wiedersehen, zu verabschieden. Als wir Harry in sein Zimmer gebracht haben und ihm den kleinen Teddy als Erinnerung auf den Nachtschrank gestellt haben, sagte er: „So, und nun raus mit Euch!“ - und ich glaube, schöner hat noch nie jemand: zu mir „Danke, für diesen Tag, den ich nie vergessen werde!“ gesagt.
Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die den Wünschewagen auf den verschiedensten Wegen unterstützen und unserer Arbeit viel Wertschätzung entgegenbringen. Das wird in den Kommentaren zu den Berichten immer wieder sehr deutlich. Mein Wunsch war, die Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, aktiv Fahrten zu begleiten, ein Stück weit mitzunehmen. Egal wie Sie das Projekt unterstützen - schön, dass es Sie gibt!
Eine heute sehr emotionale Wünschefahrt-Begleiterin“