Wunscherfüllerin Belinda Hüsemann aus Schleswig-Holstein berichtet Euch von einer wunderbaren Erinnerungsfahrt durch Hamburg...
„Es ist Donnerstag, der 11.11.2021. Wir leben schon den zweiten Winter mit Corona – das heißt mit vielen Einschränkungen und Auflagen, was auch oder insbesondere für die Durchführung der Wunschfahrten gilt. In vielen Regionen sollte heute die fröhliche fünfte Jahreszeit beginnen, alle Feierlichkeiten zum Start der Karnevalsaison sind wegen der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen verboten. Umso mehr freut es mich, dass die heutige Wunschfahrt in Erfüllung gehen wird.
Anders als die meisten Wunschfahrten starten wir nicht am frühen Morgen, sondern treffen uns erst gegen halb vier nachmittags beim ASB in Elmshorn. Der Vormittag ist dementsprechend ruhig, ein entspanntes Frühstück, ein ausgiebiger Spaziergang mit den Hunden und Stunde um Stunde zunehmende Gedanken an die heutige Fahrt, an unseren Fahrgast und immer die Sorge im Hinterkopf, dass Corona die Fahrt doch noch kurzfristig verhindern könnte. Aber es soll ein guter Tag werden.
Pünktlich um 14 Uhr starte ich, wie immer mit einem Becher Kaffee, zum Standort des Wünschewagens in Elmshorn. Heute fahre ich gemeinsam mit Katja. Wir kennen uns noch nicht und ich bin gespannt, wie wir uns ergänzen, welche Wünsche sie als Wunscherfüllerin schon erfüllen durfte. Wir treffen uns – beide doppelt geimpft und frisch getestet – in der Küche am Standort, trinken gemeinsam einen Kaffee, lernen uns kennen und besprechen die bevorstehende Fahrt. Ich erfahre, dass es Katjas erste Wunschfahrt ist, die sie heute mit mir begleitet. Wir verstehen uns auf Anhieb, auch das ist immer gut für die Erfüllung letzter Wünsche.
Um 16 Uhr rollen wir nach dem Fahrzeugcheck los Richtung Itzehoe, wo wir unseren heutigen Fahrgast Edith und als Begleitung auch die Tochter und Schwester abholen. Edith lebt zusammen mit ihrem Mann im Einfamilienhaus, die Kinder sind schon lange ausgezogen und leben nicht mehr im Ort. Aber, so erfahren wir von Ediths Mann später, jetzt in dieser schwierigen Situation, wo nur noch wenig gemeinsame Zeit verbleibt, sind beide Kinder zu Hause, auch damit Edith noch so viele Momente wie eben möglich mit ihrem erst sechs Monate alten Enkelkind verbringen kann.
Wie herzlich diese Familie ist, wie groß der Zusammenhalt und auch die Freude darüber, dass wir da sind, um diesen letzten Herzenswunsch zu erfüllen, spüren wir schnell. Bereits als wir mit dem Wünschewagen eintreffen, wartet Ediths Ehemann auf uns, um uns einzuweisen und in Empfang zu nehmen. Ich parke also direkt vor dem Hauseingang. Gemeinsam gehen wir ins Haus. Schon jetzt bedankt sich Ediths Mann, dass wir da sind und seiner Frau diesen großen Traum, ihren letzten Wunsch, einmal gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer Tochter das Musical ‚Die Eiskönigin‘ live zu erleben, ermöglichen. Alle begrüßen uns voller Vorfreude und Dankbarkeit.
Die Tochter hat alle wichtigen Dinge für die Fahrt nach Hamburg zusammengepackt, Kissen und eine zusätzliche Decke mit Eiskönigin-Motiven hat Edith schon auf dem Schoß im Rollstuhl liegen. Dank der Schmerzpumpe ist Edith nahezu schmerzfrei, obwohl der Krebs weit fortgeschritten ist, keine Aussicht auf Heilung oder Besserung mehr besteht. Die Familie ist eng beieinander und genießt jeden gemeinsamen verbleibenden Tag. Die Begleitung durch ein SAPV-Team ermöglicht, dass Edith zu Hause leben kann.
Vorsichtig und mit Unterstützung bewältigt Edith die Treppen aus dem ersten Stock nach unten. Ich gehe vor und mache den Wünschewagen startklar. Edith ist froh, dass sie es sich mit unserer Sternendecke und ihrer eigenen auf der Liege gemütlich machen kann. Sie freut sich sehr und bedankt sich über das bereitgelegte Herzkissen als Geschenk. Ihre Tochter und die Schwester setzen sich zu Edith, ich erkläre noch schnell, wie Heizung und Licht funktionieren und versorge alle mit Süßigkeiten und Getränken aus unserem kleinen Kühlschrank, dann starten wir unsere Fahrt Richtung Hamburg. Zunächst kommen wir gut voran, alle sind gut gelaunt, die drei sind sehr vertraut, unterhalten sich viel und es wird gelacht. Und dann passiert das, was wir jetzt gar nicht gebrauchen können: Stau nach einem Unfall, alles dicht, wir stehen still. Nur gut, dass wir noch einen kleinen Zeitpuffer haben.
Endlich geht es weiter und schließlich kommen wir am Musical-Gelände an. Die Aufregung steigt, wir holen den Rollstuhl aus dem Auto, legen die Eintrittskarten und Impfnachweise bereit und helfen Edith in den Rollstuhl. Geschafft, wir sind pünktlich da und machen noch ein paar Erinnerungsfotos vor dem Theater. In den Gesprächen während der Fahrt und auch jetzt geht es immer wieder um die gemeinsame Kindheit der beiden Schwestern mitten in Hamburg, ganz in der Nähe des Hamburger Doms sind sie aufgewachsen. Von weitem blicken wir über die Elbe und sehen das Riesenrad auf dem Winter Dom.
Bevor das Musical beginnt, kaufen wir noch Getränke und Brezeln. Dann startet, endlich, eine spannende erste Hälfte mit unglaublichen Lichteffekten, einem überwältigenden Bühnenbild und vor allem gesangsstarken Musical-Darstellern, begleitet vom Orchester. Leider sitzt Edith in dieser ersten Hälfte im Rollstuhl auf einem der Rollstuhlplätze, ihre Tochter auf einem Stuhl neben ihr. Die Blicke der Schwester gehen immer wieder nach vorne zu den beiden. Diese Situation gefällt Katja und mir nicht und wir beschließen, das in der Pause zu ändern.
In der Halbzeit unterhalten wir uns viel und erfahren auch, dass Edith den Schneemann Olaf des Musicals besonders mag. Da die Tochter der Mutter die Musical-Karten schon geschenkt hatte, als es ihr gesundheitlich noch besser ging, Edith noch laufen konnte, kaum auf Hilfe angewiesen war und niemand daran dachte, dass wir die Fahrt begleiten und somit ermöglichen müssen, beschließen wir kurzerhand, Edith den Stoffschneemann Olaf zu schenken. Sie hat ihn in der Pause im Verkauf entdeckt, jetzt erweitert Olaf Ediths Eiskönigin-Sammlung.
Am Ende der Pause und mit frischen Getränken versorgt, helfen wir Edith bis in die richtige Reihe auf ihren gebuchten Sitzplatz. Schwester und Tochter setzen sich links und rechts daneben, alle drei sind glücklich, dass das geklappt hat und sie nun die zweite Hälfte gemeinsam erleben können. Die Zeit geht viel zu schnell vorbei. Am Ende machen wir noch Fotos vor dem Bühnenbild und begeben uns anschließend in Ruhe auf den Rückweg zum Auto. Katja und ich verstehen uns ohne viele Worte und beschließen, den Dreien eine Rundfahrt durch Hamburg, vorbei am Dom und durch die Straße der Kindheit anzubieten. Die Freude darüber ist riesig und unterwegs werden viele Erinnerungen wach.
Vor dem Haus, in dem die Schwestern groß geworden sind, halten wir an und öffnen für Edith die Türen, da die Kraft zum Aussteigen nicht mehr reicht. Für uns alle kaum zu glauben, beginnt wie auf Bestellung genau in diesem Moment das abendliche Abschluss-Feuerwerk des Winter Doms. Was für ein schöner Abschluss!
Mit großer Zufriedenheit fahren wir zurück nach Itzehoe. Unterwegs sucht Edith sich noch einen der schön bemalten Elbsteine als Erinnerung aus. Als wir in Itzehoe eintreffen, erwartet der Ehemann uns schon. Er erzählt, dass die Imkerei sein großes Hobby ist, er sich gerne bei uns für die liebevolle Begleitung und die Erfüllung dieses letzten Herzenswunsches bedanken möchte und schenkt Katja und mir jeweils zwei Gläser selbst hergestellten Honig der eigenen Bienen. Wir sind sehr dankbar über diese Geste und glücklich, dass wir diesen Wunsch erfüllen durften.
Es ist spät oder besser gesagt schon sehr früh, als wir in Elmshorn eintreffen und den Wünschewagen in der Garage parken. Wieder wurde ein letzter Wunsch mit viel Dankbarkeit und Anerkennung für dieses Ehrenamt erfüllt, und zwei ehrenamtliche Wunscherfüllerinnen fahren müde, aber sehr zufrieden nach Hause."