Zur Erinnerung an ihren Fahrgast berichtet unsere Wunscherfüllerin Belinda Hüsemann aus Schleswig-Holstein von ihrer bewegenden Reise mit „Holli“ (16.07.1960 – 29.10.2021).
„Meine ASB-Kleidung – T-Shirt, Pulli und Jacke mit dem Schriftzug 'Wünschewagen' – liegen bereit, die Sicherheitsschuhe im Rucksack verpackt und dann die Nachricht von Birgit (unserer Koordinatorin für die Wunschfahrten), dass die Fahrt wahrscheinlich abgesagt werden muss.
Corona ist noch nicht vorbei, und der Test der zweiten Wunscherfüllerin war trotz Impfung positiv. Birgit hat viele Wunscherfüller*innen angeschrieben, um kurzfristig Ersatz zu finden. Auch ich habe nichts unversucht gelassen und meine Kontakte spielen lassen. Dann die große Erleichterung, eine kurze Antwort: ‚Klar springe ich ein! Wann geht es los, mit wem wohin und kannst Du mich in Segeberg abholen?‘
Klasse, ich bin froh und informiere sofort Birgit, dass wir am nächsten Tag wie geplant Holgers letzten Wunsch erfüllen können. Auch Birgit fällt ein Stein vom Herzen!
5:30 Uhr, mein Wecker klingelt. Es ist ruhig an diesem Morgen. Ein ausgiebiger Spaziergang mit meinen Hunden und ein Blick zum Himmel mit der Bitte, dass das Wetter heute so bleibt, trocken und kaum Wind.
Da die Anreise zum Standort des Wünschewagens in Elmshorn mit dem Umweg über Segeberg heute länger dauert, fahre ich um 8:15 Uhr los und Tina steigt um 9 Uhr am Levo Park ein. Der Verkehr hält sich in Grenzen und wir sind um kurz nach 10 Uhr in Elmshorn. Birgit empfängt uns wie immer gut gelaunt – und diesmal besonders zufrieden, dass die Fahrt doch noch stattfinden kann – mit einem frischen Kaffee. Wir gehen in Ruhe die Papiere durch und fahren nach dem Fahrzeugcheck los, 120 Kilometer bei gutem Wetter Richtung Gettorf zum 'Hospiz im Wohld', dem aktuellen Lebensort unseres heutigen Fahrgastes Holger.
Mit jedem Kilometer, den wir näherkommen, steigt unsere Aufregung ein wenig. Wie geht es unserem Fahrgast heute, was erwartet uns? Dann sind wir am Ziel. Die Pflegerinnen nehmen uns sehr herzlich in Empfang und freuen sich sichtlich, dass wir da sind. Denn, so berichten sie, Holgers Gesundheitszustand habe in der letzten Woche deutlich nachgelassen und er müsse nun, anders als geplant, nicht im Rollstuhl, sondern auf unserer Liege gefahren werden. Und auch das erfahren wir noch auf dem Weg zum Zimmer: Heute ist im Hospiz ein besonderer Tag. Genau vor einem Jahr zog hier der erste Gast ein und jetzt, genau ein Jahr später, dürfen wir das erste Mal einem Gast den letzten Herzenswunsch mit dem Wünschewagen erfüllen.
Seit Tagen spricht Holger mit seiner Frau Ute, seiner Schwester Gabi und den Mitarbeiterinnen im Hospiz trotz zunehmender Schwäche und Schmerzen immer wieder voller Vorfreude von dem bevorstehenden Ausflug. Seinem letzten kleinen Trip, seinem letzten Wunsch, noch einmal gemeinsam mit seiner Frau im gemeinsamen Lieblingsrestaurant "Alexy - Strande" Pannfisch essen, ein Weizenbier trinken, etwas an der Promenade spazieren und ein Eis bei "BRUNO Strande" essen. Als wir Holgers Zimmer betreten, schläft er. Ute und Gabi begrüßen uns, als würden wir uns schon lange kennen und hätten uns nur eine Zeit lang nicht gesehen. Vom ganzen Trubel wacht auch Holger auf und freut sich sehr, dass wir da sind – endlich geht es los!
Gemeinsam helfen wir Holger vom Bett auf die Trage und decken ihn mit den blauen Sternendecken des Wünschewagens zu, die Wärmflasche an den Füßen und die Mütze auf dem Kopf dürfen nicht fehlen. Das neue Herzkissen, welches jeder Fahrgast von uns bekommt, findet sofort seinen Platz im Bett. Nachdem Holger im Wünschewagen ist, setzt sich Ute neben ihn. Tränen laufen, vor Freude, dass dieser Wunsch jetzt in Erfüllung geht, und vor Traurigkeit, dass es der letzte gemeinsame Ausflug sein wird. An den gemeinsamen Lieblingsort, an dem sie zusammen so oft ihre Freizeit verbracht haben, um zur Ruhe zu kommen, die Akkus aufzuladen… Ich mache die Heizung an, gebe Holger und Ute noch etwas zu trinken und ein paar Süßigkeiten aus unserem kleinen Kühlschrank und dann geht es los, 23 Kilometer bis nach Strande.
Wir fahren langsam, um Holger die Fahrt so angenehm wie möglich zu machen. Gabi kommt mit ihrem Auto direkt zum Restaurant. Wir dürfen direkt vor der Tür parken. Nachdem wir Holger aus dem Auto geholt haben, möchte er erstmal den Blick auf das Meer genießen und dabei ganz in Ruhe und – sofern man es so ausdrücken kann – mit Hingabe eine Zigarette rauchen, Zug für Zug, mit ganz viel Ruhe und Pausen. Mit so viel Entspannung und Genuss habe ich noch nie jemanden eine Zigarette rauchen sehen. Im Restaurant hat man uns einen tollen Platz mit Meerblick reserviert und wir stellen Holger so, dass er über das Wasser schauen kann. Dann kommt auch schon der erste Teil der Bestellung. Ein helles Hefeweizen für Holger, das er seit seinem Einzug ins Hospiz nicht mehr getrunken hat und es schmeckt ihm richtig gut. Ute tut alles für ihren ‚Holli‘, wie er von allen genannt wird, unterstützt ihn beim Trinken, hält seine Hand.
Tina und ich spüren, wie innig und vertraut die beiden miteinander sind. Sie erzählen uns viel, über die gemeinsamen Jahre, ihr Kennenlernen und die Hochzeit vor ein paar Jahren, nachdem Holger das erste Mal erkrankt war und beide dachten, der Krebs sei überstanden. Die beiden lernten sich bei der Arbeit kennen, Holli sei optisch eigentlich gar nicht ihr Typ gewesen und auf eine Beziehung hatte sie zu diesem Zeitpunkt erst recht keine Lust. Und dann ist es doch passiert: Sie verliebte sich in seine herzliche Art, seinen Umgang mit Menschen als Betreuungskraft in einem Pflegeheim, in dem sie gerade ihre neue Stelle angetreten hatte. Und dann kommt unser Fisch. Holger hat Hunger und genießt seinen Pannfisch mit Kartoffel, er isst langsam und sieht dabei aufs Meer, zwischendurch ein paar Schluck Weizen. Ute ist glücklich, dass Holger so einen Appetit hat, denn in den letzten Tagen hat er nur noch sehr wenig gegessen.
Auch wir sind froh, dass es Holger schmeckt, dass die zwei gemeinsam diesen Tag verbringen und uns an ihrem Leben teilhaben lassen. Nach dem Essen unterhalten wir uns viel. Ich gehe zum Wünschewagen und hole die Schale mit den bunt bemalten Elbsteinen, von denen sich jeder Fahrgast einen als schöne Erinnerung an die Wunschfahrt aussuchen darf, denn ich finde, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist. Holli beschließt, dass Ute und Gabi einen Stein für ihn aussuchen sollen. Viele werden in die Hand genommen, auf einem steht ‚Du bist nicht allein‘. Das ist der richtige, denn spontan beginnt Holli das Lied von Roy Black zu singen und wir stimmen alle mit ein.
Eine schöne Situation, wir lachen, das werden wir wohl alle so schnell nicht vergessen. Und dann öffnet Gabi eine Tasche und die drei schenken jedem von uns einen wunderschön verpackten Tee mit Süßigkeiten: ‚Wir möchten uns so gern bei Euch persönlich bedanken, es ist so toll, dass Ihr diese ehrenamtliche Arbeit macht, ohne Euch hätten wir diese Fahrt nicht machen können.‘ Jetzt sind wir beide gerührt. Denn wir merken, dass dieses Geschenk wirklich von Herzen und aus Dankbarkeit kommt. Wir ziehen weiter.
Fahren langsam mit der Trage über die Promenade – und dann gibt es Eis bei ‚Bruno‘. Holger nimmt seine Lieblingsorte Schoko. Wir fahren ihn, soweit es geht, zum Strand, das Wetter hat es gut mit uns gemeint, es bleibt trocken und es ist für norddeutsche Verhältnisse windstill. Trotzdem wird es Holger kalt, das bedeutet, es wird Zeit zum Abschied nehmen. Langsam geht es zurück zum Auto, noch eine Zigarette und dann treten wir die Rückfahrt nach Gettorf an. Holger ist erschöpft, aber glücklich.
Vorsichtig geht es für Holli zurück von der Trage ins Bett, denn nun möchte er sich nur noch ausruhen. Wir verabschieden uns von allen und fahren glücklich, wieder einen Wunsch erfüllt zu haben, zurück nach Elmshorn.“