Kattas machen Mittagsschlaf. Wusste ich gar nicht. Liegt vielleicht auch daran, dass ich bis vorhin auch nicht genau wusste, was Kattas sind. Man könnte also sagen, dass es am Mittagsschlaf der Kattas lag, dass ich um 03.45 Uhr aufstehen musste, um rechtzeitig zum Treffen am Wünschewagen zu sein.
Birgit, die Koordinatorin, gibt neben Infos zu Fahrgast und Fahrt auch immer ein paar Infos zu Zeiten, wann wir wo sein müssen. Im Normalfall ist das eine lockere Angabe, wenn es z.B. um einen Strandbesuch geht. Aber heute müssen wir pünktlich sein. Auf dem Weg höre ich Nachrichten, die Welt ist durcheinander. Ich hoffe, dass es uns allen gelingt, uns heute auf das zu konzentrieren, was wichtig ist, unseren Fahrgast und ihren Wunsch.
Als wir Heidi in ihrer kleinen Wohnung abholen, ist mir klar, dass das kein Thema ist. Sie erwartet uns schon fix und fertig angezogen und aufgeregt an der Tür. Vor lauter Nervosität und Spannung hat sie die halbe Nacht nicht geschlafen. Ich mache den Vorschlag, dass sie sich während der Fahrt noch ein bisschen ausruhen kann, Hans-Rudolf ist ein wunderbarer Kollege und sicherer Fahrer, Sara sitzt bei ihm und kann alle Fragen stellen, die sie zu ihrer ersten Fahrt hat. Heidi und ich könnten kurz… Aber sobald wir im Wünschewagen sind, ist klar, dass sie wirklich jede Sekunde dieses Ausflugs mitbekommen möchte. Bereits die relativ unspektakuläre Fahrt durch Kiel ist ein absolutes Highlight für sie.
Während unseres Gesprächs verstehe ich ein bisschen, was diese Fahrt für sie bedeutet. Vor einem Jahr bekam sie die Diagnose. Brustkrebs, Metastasen, bösartig, geringe Lebenserwartung. „Vor den Latz geknallt“ wurde ihr diese Information von den Ärzten. Sie hat sich gegen Behandlungen mit ungewissem Erfolg und vielen Einschränkungen entschieden und nutzt ihre Lebenszeit ganz bewusst. Die Möglichkeiten sind sehr beschränkt, sie kann die Wohnung nicht alleine verlassen, für viele, auch kleine Dinge, fehlen die finanziellen Möglichkeiten. Das erzählt sie mir, aber auch, wie viel Herzlichkeit und Unterstützung sie erfährt. Vom Palliativ-Team, das sie Zuhause betreut, einer Bekannten, die sich „wie ein Engel“ um sie und ihren Hund kümmert und vielen Menschen, die ihr zur Seite stehen.
Es ist kein leichtes Leben, von dem sie spricht. Mehrere Kinder, Geldsorgen, Trennung und jetzt die Krankheit. Sie hat lange überlegt, welcher der Wünsche von ihrer „Löffel-Liste“ ihr am wichtigsten ist. Auf den Fischmarkt wollte sie wahnsinnig gerne, aber nur mit den Marktschreiern, von denen sie so viel gehört hat. Einmal mit einem Schiff fahren, einmal in einem Hotel übernachten. Alles Dinge, die sie noch nie getan hat. Einen Tierpark besuchen, für die meisten von uns Kindheitserinnerung und selbstverständlich – für Heidi das absolute Größte, was sie sich vorstellen konnte.
Wir fahren nach Hamburg (wo Heidi noch nie war…), Heidis Tochter Talie wartet vor dem Tor auf uns. „Tierpark Hagenbeck“ – wir haben unser Ziel erreicht. Herzlich werden wir von Frau Wilke, einer Mitarbeiterin der Pressestelle, in Empfang genommen. Sie hat unsere Eintrittskarten dabei, wir sind eingeladen. Das ist großartig, da der Wünschewagen ausschließlich spendenfinanziert ist. Heidi ist heute der Stargast und erfährt von Frau Wilke eine Menge über die Geschichte und die beeindruckende Anzahl von Tieren im Park. Ich schiebe den Rollstuhl, (das mache ich gerne, damit ich mit meinem schlechten Orientierungssinn nicht irgendwo verloren gehe…), aber jetzt bin ich auch ganz nahe dabei, als wir in das Tropen-Aquarium gehen, um die Kattas zu besuchen. Diese kleinen, wuseligen Tiere kommen ursprünglich aus Madagaskar, dort ist es deutlich wärmer als in Hamburg. Die Temperaturen sind angepasst, es ist herrlich warm, als ich Heidi ganz nah an die Absperrung schiebe. Sie ist total aus dem Häuschen, als der Tierpfleger erlaubt, dass sie zu ihm kommen und mit füttern darf. Wir machen unzählige Fotos, obwohl Heidi anzusehen ist, dass sie diesen Moment niemals vergessen wird. Die Tiere dürfen nicht angefasst werden, was unglaublich schwerfällt, da sie so niedlich und wahnsinnig kuschelig aussehen. Heidi spürt das weiche Fell, als die Kattas auf ihre Schulter und ihren Schoß klettern, um die Leckerlies von ihr anzunehmen. Dass der Zoologische Direktor Dr. Westhoff extra zu uns kommt, um Heidi zu begrüßen, nimmt sie nur am Rande war. Gegen die Kattas hat einfach niemand eine Chance, dafür sind sie zu süß.
Wir sind alle schock-verliebt und würden vermutlich den ganzen Tag dort bleiben, aber Frau Wilke weiß so viel über die Menschen und Tiere, die wir dort sehen, dass wir mit ihr weitergehen. Talie sucht immer wieder die Nähe zu ihrer Mutter, berührt sie an der Schulter und mehr als einmal wischen sich beide die Augen. Heidi hat von schwierigen Zeiten erzählt, es ist schön zu sehen, wie liebevoll die beiden jetzt miteinander umgehen.
Während wir durch den Park schlendern, gucke ich nebenbei nach dem Restaurant. Wegen Corona ist noch nicht alles geöffnet, aber es fühlt sich schon ziemlich normal und vor allen Dingen schön an, durch die Sonne zu laufen und die Tiere anzusehen.
Bei den Elefanten gibt es das nächste Highlight: Heidi wird vom freundlichen Tierpfleger direkt angesprochen, sie ist heute der Ehrengast im Park und darf auch hier bei der Fütterung helfen. Nee, diesmal sitzen die Tiere nicht auf ihrem Schoß. Sanft nehmen die riesigen Elefanten Mangos, Bananen und Wurzeln aus ihrer Hand, Heidi entwickelt sich zum Profi und wirkt geradezu lässig. Mit den flauschigen Kattas kann aber nichts und niemand mithalten, das ist ganz klar der Höhepunkt des Tages.
Während wir bei Pommes, Crepe (ich habe ja die Theorie, dass das, was man auf Wünschefahrten isst, nicht auf den Hüften landet…) und Kaffee in der Wärme sitzen, spricht Heidi noch ein bisschen von ihrer Vergangenheit. Von ihrem Mann, den sie mit 18 Jahren kennen- und lieben gelernt hat. Der Scheidung, weil es zu viele Herausforderungen für sie als Paar gab. Und davon, dass sie sich wieder ineinander verliebt haben und bis zu seinem Tod wieder ein Paar waren. „Ich hoffe, er wartet da Oben auf mich!“ sagt Heidi und lächelt. Es wirkt so, als ob sie ihren Frieden gemacht hat mit ihrer Erkrankung. Sie wird ihre Enkelkinder nicht aufwachsen sehen und nicht alle Konflikte klären können. Vermutlich werden nicht alle ihrer Wünsche in Erfüllung gehen, aber sie hadert nicht über das, was nicht gelingt, sondern ist komplett im Hier und Jetzt. Die Erinnerung an diesen Tag, die Herzlichkeit, die ihr entgegengebracht wurde und die Nähe zu ihrer Tochter werden ihr in den Momenten helfen, wenn es ihr nicht gut geht.
Auf dem Weg zurück werden wir von zwei Plüsch-Kattas aus dem Souvenirladen begleitet, Heidi konnte nicht widerstehen. Zusammen mit dem Wünschewagen-Bärchen werden sie liebevoll nach Hause begleitet. Der Tag war aufregend, wir sind alle ein bisschen erschöpft und reden wenig. Ich denke über das nach, was Heidi mir erzählt hat, als sie plötzlich ganz verträumt: „Wunderschön. Augen zum Verlieben!“ sagt. Ich bin kurz überrascht, wie toll Heidi mich auf einmal findet, aber an ihrem Lächeln erkenne ich, dass sie in Gedanken noch bei „ihren“ Kattas ist.“
Ein ganz besonderer Dank an das Team des Tierpark Hagenbeck für die tolle Unterstützung!
Tinka Beller, Autorin und Wunscherfüllerin beim Wünschewagen Schleswig-Holstein