„Als ob ich Flügel hätte…“

Was es mit diesem Satz auf sich hat, beschreibt Euch wieder einmal auf wundervolle Art und Weise unsere Wunscherfüllerin (und Autorin) Tinka Beller aus Schleswig-Holstein:

„Ich wohne da, wo andere Urlaub machen. Die Stadt ist zauberhaft, die Natur idyllisch, die See nahe und das Wetter prima. Meistens. Na ja, manchmal. Die Menschen, die hier leben, sind toll, es gibt die besten Pommes der Welt und ich kann sehr gut verstehen, warum es für viele ein Sehnsuchtsort ist. Für viele. Nicht für alle.

Helga wohnt in derselben Stadt wie ich. Schon sehr lange. Irgendwie klar, dass ihre Wunschfahrt nicht an den Strand gehen soll, der in 10 Minuten mit dem Auto erreichbar ist. Ich bin ein bisschen aufgeregter als sonst, als ich die Sicherheitsschuhe anziehe und meine Sachen packe. Karl-Heinz holt mich mit dem Wünschewagen zu Hause ab, totaler Luxus. Es ist unsere erste, gemeinsame Fahrt miteinander. Bereits als ich in den Wagen klettere, bin ich mir sicher, dass wir viel Spaß miteinander haben werden, er ist ausgesprochen lustig.

Die Fahrt zu Helga ist kurz, ich blättere die Informationen durch, die wir haben. Sie hat mehrere Erkrankungen, jede einzelne ist ziemlich schwerwiegend. Hoffentlich kann sie die Fahrt an ihren Sehnsuchtsort genießen. Ich krame in meinem Schulwissen. Harz. Wernigerode. Brocken. Hexen. Viel mehr fällt mir nicht ein. Auf der Liste der Orte, die ich gerne besuchen würde, steht es bisher nicht in der Top 10, ich bin gespannt, was es für Helga so besonders macht.

Es ist Samstag, kurz nach 7 Uhr und wir werden bereits von der ganzen Familie erwartet. Die Freude steht allen ins Gesicht geschrieben. Die Männer, also Ehemann, Schwiegersohn und Enkel, lassen wir zuhause, Helga und ihre Tochter Heike packen wir samt Gepäck ins Auto. Karl-Heinz zeigt sich von seiner besten Seite. Er kommt aus dem Sanitätsdienst, mit viel Routine und viel Charme Helga gegenüber sorgt er dafür, dass sie auf der langen Fahrt bequem liegt und alles sicher verstaut ist.

Die Menschen in Norddeutschland sind bekannt dafür, dass sie nicht so viel reden. Mit ‚Moin!‘ und ‚Mhm.‘ kommt man bei uns ziemlich weit. Im Normalfall. Heute nicht, jetzt wird gesabbelt, was das Zeug hält. Extrem häufig fällt das Wort ‚Glück‘. Was für ein Glück, dass Heike vom Wünschewagen erfahren hat. Wie schnell und freundlich die Organisation funktionierte. Und immer wieder, wie glücklich sie sind, dass wir das ermöglichen. Sie sind sich einig, dass es keine Zufälle gibt, sondern alles so sein soll, wie es ist.

Wir albern rum, ich mache Fotos mit dem kleinen Wünschewagen-Bärchen, das uns immer auf den Fahrten begleitet. Meine Theorie, dass Kalorien auf Wunschfahrten nicht zählen, ist zwar nicht wissenschaftlich belegt, aber sie gefällt mir so gut, dass ich daran festhalte. Während wir fahren, plündern wir die Süßigkeitenvorräte und alles, was wir so dabeihaben. Es ist eine Menge.

Heike schwärmt von unserem Zielort. Wie schön es dort ist, die wundervolle Landschaft, die interessante Umgebung. Man merkt, dass es ihr genauso gut gefällt wie ihrer Mutter, beide sind unabhängig voneinander schon oft da gewesen. Helga guckt die meiste Zeit aus dem Fenster und zählt die Kilometer, bis wir endlich da sind. Als sie sagt: ‚Wenn ich da bin, bin ich ganz leicht. So, als ob ich Flügel hätte‘, wird mir wieder einmal deutlich, was für eine wundervolle Aufgabe das Begleiten dieser Fahrten ist. Ein richtiges Glück.

Sie wollen gemeinsam bummeln, in bestimmte Geschäfte, in denen sie früher oft waren. Erinnerungen schaffen, für eine Zeit, in der es nicht mehr möglich sein wird, so weite Fahrten zu unternehmen. Karl-Heinz, das Bärchen und ich püttschern durch die Stadt und bekommen einen Eindruck davon, was die beiden so sehr mögen. Es gibt viele, kleine Straßen und hübsche Häuschen. Wir müssen lachen, als wir sie vollgepackt wiedertreffen, der Rollator wurde hauptsächlich zum Abstellen der Taschen genutzt, Helga ist so voller Energie, dass sie ihn kaum benötigt.

Heike wischt sich häufig ein paar Tränen aus den Augen, sie ist glücklich, diese Zeit mit ihrer Mutter verbringen zu dürfen und genießt wirklich jede Sekunde. An ihrem Handgelenk klimpert ein Armband, sie hat es sich hier gekauft. Die Anhänger haben eine ganz besondere Bedeutung, ein Engel, ein Herzchen, eine Lok. Sie berührt es häufig, es scheint ihr Energie und Kraft zu geben. Eine bleibende Erinnerung an diesen Tag.

Es ist alles perfekt organisiert, wir haben ein schönes Hotel, etwas außerhalb von Wernigerode. Helga und Heike schwärmen von dem wunderbaren Blick, den sie aus ihrem Zimmer haben. Karl-Heinz und ich grinsen, wir haben ein Gerüst vor unseren Fenstern und gucken auf den Parkplatz. Total egal, wir sind ja nicht für den Ausblick hier. Ich weiß nicht, woher sie die Energie nehmen, aber Karl-Heinz und Helga sind auch nach dem gemeinsamen Essen im Restaurant total fit. Wenn es im Hotel eine Disco gegeben hätte, wären sie vermutlich auch da noch hingegangen. Was für ein Glück – in diesem Fall für mich, ich bin extrem müde.

Nach einer kurzen Nacht treffen wir uns zum Frühstück. Herr Albers, der Chef des Hotels, kommt an unseren Tisch und begrüßt Helga sehr herzlich. Er schenkt ihr ein kleines Büchlein über die Gegend. Ihre Wangen sind vor Aufregung ein bisschen gerötet, die Augen strahlen, sie ist an diesem Morgen ein ganz besonderer Gast des Hotels. Auf dem Weg hat sie erzählt, dass es ihr am Anfang schwerfiel, sich auf die Fahrt zu freuen. Weil sie so viel Aufmerksamkeit gar nicht gewohnt ist, sich lieber um andere kümmert und sich nicht vorstellen kann, dass sie es wert ist. Diesen ganzen Aufwand, die Begleitung und alles, was dazu gehört. Es ist wunderbar zu sehen, wie sehr sie diese Aufmerksamkeit jetzt genießen kann.

Als wir samt Einkäufen, Geschenken und allem Drum und Dran wieder im Wagen sind, geht die Reise weiter. Gestern wusste ich kaum, wo der Harz liegt, heute bin ich begeistert, was es hier alles zu sehen gibt. Unzer anderem ein Glasbläser-Museum, in dem es riesige Räume gibt, in denen das ganze Jahr über Weihnachtskugeln an Weihnachtsbäumen hängen. Noch begeisterter bin ich nur vom Baumkuchen-Haus, in dem wir uns durch die verschiedenen Sorten probieren. Ich hoffe, dass mein Körper gemerkt hat, dass wir auf einer Wunschfahrt sind und die Kalorien nicht auf der Hüfte landen...

Bevor wir einen Anhänger für den Wünschewagen besorgen müssen (natürlich mussten wir aus dem Baumkuchen-Haus auch noch etwas mitnehmen...), machen wir uns auf den Heimweg. Es regnet. Es ist Stau. Im Wünschewagen strahlen Helga und Heike um die Wette. Was für ein Glück wir auf der Hinfahrt hatten. Mit dem Wetter. Und ganz besonders mit Karl-Heinz und mir als Begleitung. Zum Abschied drückt sie uns kleine Geschenke in die Hand, eingepackt, bevor sie wusste, wer dabei sein würde. Sie wollte sich auf jeden Fall bedanken, egal, bei wem. ‚Aber, wenn das so junge Leute gewesen wären, wäre das wahrscheinlich nicht so schön gewesen!‘ Helga, schöner hat mir noch nie jemand gesagt, dass ich alt bin.

Nachtrag: Eigentlich war eine andere Begleiterin für die Fahrt geplant. Aufgrund einer kurzfristigen Änderung konnte ich mitfahren. Was für ein Glück. Oder, wie Helga und Heike sagen würden: Es gibt keine Zufälle!

Nachtrag II: Ich habe Helga zwei Tage nach der Fahrt das kleine Bärchen aus dem Wünschewagen gebracht. Sie war immer noch ganz aus dem Häuschen. ‚Es ist so, als ob meine Flügel immer noch ganz weit ausgebreitet sind. Ich habe das Gefühl, dass ich fliegen kann.‘ Guten Flug, liebe Helga!