Nach dieser Ansage hatten sich die Ehrenamtlichen Andreas und Jacqueline vom sächsischen Wünschewagen den Tag wohl etwas anders vorgestellt. Ruhiger vielleicht? Am Ende der Wunschfahrt hatten sie die Brandenburger Feuerwehr kennengelernt, Fallschirmseiden geprüft und Kenntnisse im Bierbrauen erlangt. Beide hatten neue Freunde gewonnen und Jacqueline ihren Ersteinsatz als Wunscherfüllerin erfolgreich gemeistert…
Das Reiseziel: Ladeburg in Brandenburg. Gut versteckt tief im märkischen Sand, liegt dort ein früherer Bunker der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR und gleichzeitig Dienstort von Fahrgast Matthias als sehr junger Mann.
Im Ernstfall sollten in den 1980er Jahren hier Flugabwehrraketenabteilungen geführt werden. Die Arbeit bei der 41. Fla-Raketenbrigade „Hermann Duncker“ verstärkte Matthias‘ Interesse für Funkwesen, Luftfahrt und Technik. Doch dort erlebte er auch die letzten Jahre und den Zerfall des sozialistischen Regimes. Später zog es Matthias in die Welt und immer wieder zurück ins ländliche Brandenburg, Ladeburg wurde sein Schicksalsort. Er kannte das Gelände ausgezeichnet, sammelte Zeitzeugnisse und unterstützte bei der Aufarbeitung der Geschichte vor Ort. Später verarbeitete er seine Erlebnisse sogar in einem spannenden Spionagethriller. Die Zeit des Umbruchs und der persönlich wie beruflich großen Herausforderungen war nicht nur für ihn sehr prägend. Mit den Kameraden von damals verbindet den Sachsen bis heute ein enges Band – im Lauf der Jahre sind sie gute Freunde geworden.
Unbedingt wünschte sich der schwerkranke Mitfünfziger nun noch einmal eine Reise gemeinsam mit seinen Freunden und der Familie dorthin. Frühmorgens machte sich also der sächsische Wünschewagen mit Fahrgast Matthias und Ehefrau Kathrin aus Richtung Meißen auf in den Norden. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde der Bunker in Brandenburg noch von der Bundeswehr genutzt, später teilweise zurückgebaut und verschlossen. Aber heute ist Ladeburg wieder zugänglich, ein wichtiges Zeugnis des Kalten Krieges – in ganz Deutschland gibt es noch Bunkeranlagen, oft versteckt und in schwer zugänglichem Gebiet, einige davon können besichtigt werden.
In Bernau waren also alle überpünktlich am Treffpunkt an der Alten Kaserne versammelt: die Familie mit Kindern und Enkeln, Freunde und Weggefährten. Nur der Wünschewagen fehlte. Denn wieder einmal war der sächsische Wünschewagen unterwegs „Erster“ an einer Unfallstelle. Rettungsassistent Andreas übernahm bis zum Eintreffen der Feuerwehr routiniert die Versorgung der verunfallten Personen, während Jacqueline weiterhin unseren Fahrgast betreute. Ein Rettungsrucksack ist im Wünschewagen immer mit an Bord. Das Fachpersonal natürlich ebenfalls. Herzlichen Dank für diesen ungeplanten Einsatz!
Nach dieser Pause kam der Wagen etwas später in Ladeburg an. Mit der Frühlingssonne im Rücken wagten sich alle mutig an den Einstieg in den kühlen Bunker. Der Eingang war eine Herausforderung, aber mit Hilfe der Familie und Freunde wurde Matthias im Rollstuhl die steilen Treppen hinab transportiert. Der ehemalige Arbeitsort? Natürlich ganz unten in der letzten Etage des mehrgeschossigen Baus! Aber Matthias traute sich das zu und wollte hinunter.
Einmal geschafft, fühlten sich alle wie in einer fremden Welt, mit mehreren Metern Beton und Erde über den Köpfen wundert das nicht. Die Bunkeranlagen sind original erhalten, teils restauriert, viel Material vom Fallschirmspringerausweis bis zu originalen Anzügen und alten Dokumenten ist in der Ausstellung zu sehen. Torsten vom Team der „Bunkerbrigade“ führte kundig durch die Anlage. Jede Bodenwelle und jeden Knopf kannte auch Matthias, zu allem konnte er eine Geschichte erzählen. Bedrückend nah rückten durch die intensiven Schilderungen der Zeitzeugen die Jahre des Kalten Krieges. Gerade die aktuellen Entwicklungen in Europa lassen zweifeln, ob diese Zeit wirklich lange vorbei ist. Auch unsere Reisegruppe kam ins Diskutieren. Kein leichtes Thema, kein leichter Weg, beim Aufstieg ließ das Thema alle nicht so einfach los.
Zurück an der frischen Luft hieß es erst einmal Durchatmen nach dieser beeindruckenden Geschichtsstunde und dann auf zur Stärkung in den nahegelegenen Gasthof „Zum Spilling“. Die Familie hatte Lieblingsgerichte von Matthias für alle bestellt: Soljanka und Jägerschnitzel. Für viele ist das noch immer ein beliebtes Kindheitsessen, selbst wenn das originale „DDR-Jägerschnitzel“ nicht wirklich ein Schnitzel ist, aber was macht das schon? Lecker war’s, bestätigten auch Andreas und Jacqueline.
Es war im Gasthof schon später geworden als erwartet. Ein Freund lud Matthias dann spontan noch in die nahegelegene kleine Brauerei ein. Beim Fachsimpeln über Hopfenstärken und Malz durfte ein ordentlicher Probeschluck für unseren Fahrgast und seine Familie nicht fehlen. Besonders Matthias genoss diese entspannte Zeit und die Gespräche in der Brauerei mit seinen Freunden. Erst spät am Abend fuhr der Wünschewagen aus Brandenburg zurück. Erschöpft, aber glücklich kamen Matthias und Ehefrau Kathrin nach einem mehr als langen Tag wieder zu Hause an.
Tief in der Nacht rollte schließlich auch der sächsische Wünschewagen in die heimische Wache in Leipzig. Im Gepäck hatten Andreas und Jacqueline nicht nur viel Geschichte aus der jüngeren Vergangenheit, sondern auch die wärmende Erinnerung an neu gewonnene Freunde. Und natürlich eine herzliche Einladung auf ein hopfenstarkes Bierchen in Meißen, irgendwann…