Noch einmal das Meer sehen…

Die 76-jährige Anni Martin aus Kassel ist unheilbar an Krebs erkrankt. Sie wollte aber noch mal ans Meer. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt – dank des ASB-Wünschewagens.

Kassel – Das Ostseeheilbad Graal-Müritz glänzt im warmen Abendlicht, als Anni Martin aus Kassel ihre Zehen in den Sand gräbt. Sie sieht nicht nur das Meer vor sich, sie fühlt es. Jede Welle, die sich am Strand bricht, scheint ein Echo aus ihrer Vergangenheit zu sein, eine liebevolle Erinnerung an Zeiten, als es Martin noch gut ging. Es ist noch gar nicht lange her, dass die 76-Jährige die Diagnose Krebs erhielt, mit einer unerfolgreichen Chemotherapie zudem ein unausweichliches Ultimatum.

Doch all das ist gerade vergessen dank des ASB-Wünschewagens und seiner zwei Engel ohne Flügel: Charlotte Krug und Thomas Haß, ehrenamtliche Wunscherfüller, die für Anni Martin am Wochenende schnell zu mehr geworden sind als nur Fahrer und Betreuer.

Sie sind die Architekten einer Erinnerung, die immer bleiben wird, nicht nur für Anni, sondern auch für Sohn Peter. „Meine Mutter hat ihr Leben lang zurückgesteckt, damit es uns gut geht. Jetzt ist sie dran“, sagt er, die Augen feucht, aber glücklich. Die Idee, den Wünschewagen einzuschalten, habe seine Tochter gehabt.

Anni Martin blickt nach rund sieben Stunden Fahrt zufrieden aufs Meer und genießt eine Welt, wo die Zeit stillsteht, wo die Schmerzen verblassen und das Salz in der Luft nicht nur ihren physischen Körper, sondern auch ihre Seele streichelt. „Es ist dieses Gefühl von Freiheit, nach dem ich mich so sehne“, hatte sie noch wenige Stunden zuvor gesagt, als der Wünschewagen sie am Kasseler Hospiz abgeholt hat.

Nun beginnt die Sonne zu sinken und malt eine silberne Spur auf den Wellen. Martins Blick folgt dem Licht, das sich auf dem Wasser bricht. „Der Lichtstrahl kam bis zu unseren Füßen. Sowas Schönes habe ich noch nie erlebt“, flüstert sie am Abend in ihrer Unterkunft angekommen und freut sich, vor der Rückfahrt am nächsten Tag noch mal zum Meer zu können.

Charlotte Krug und Thomas Haß, die ehrenamtlichen Helfer, sind auch dann dabei, ziehen sich aber immer wieder auch zurück, um dem Mutter-Sohn-Duo kostbare Zeit allein zu schenken. Zeit, die beide tief in ihre Herzen aufsaugen.

Bevor der Wünschewagen sich für die Rückfahrt bereitmacht, nimmt Anni Martin noch einen tiefen Atemzug der salzigen Luft, als wollte sie das Meer mit sich nehmen. „Es war wunderschön, mir fehlen die Worte“, sagt sie, und das muss sie auch nicht weiter ausführen. Ihr Lächeln sagt genug.

Auf der Rückfahrt sitzt die überglückliche Beschenkte im Wagen, schließt die Augen und trägt das Meer in ihrem Herzen. Sie weiß, dass sie einen Schatz gefunden hat, einen letzten, kostbaren Moment der Freiheit und der Liebe.

Und dieser Schatz wird bleiben, auch wenn Anni Martin zurück im Kasseler Hospiz ist, um dann irgendwann ihre allerletzte Reise anzutreten.

(Sascha Hoffmann)