Ausgerechnet an seinem 80. Geburtstag ist für einen Tumorpatienten aus der Region Hannover ein letzter großer Herzenswunsch in Erfüllung gegangen: Noch einmal ans Steinhuder Meer. Der Wünschewagen vom Arbeiter-Samariter-Bund Niedersachsen e.V. (ASB) hat für den Schwerstkranken den Ausflug in Corona-Krisenzeiten möglich gemacht.
Was muss das wohl für ein Gefühl sein, wenn man wegen der nicht aufzuhaltenden Krebserkrankung über viele, viele Monate hinweg zu schwach ist, die eigene Wohnung zu verlassen? Wenn Corona-bedingt nur noch die engsten Angehörigen zum Pflegen ins Haus kommen können. Wenn man Familie, Freunde und Nachbarn eine gefühlte Ewigkeit nicht sehen durfte. Und wenn man dann ausgerechnet am 80. Geburtstag einen ganz und gar unbeschwerten Tag in „Freiheit“ genießen darf.
Kurt Meier* aus dem Westen der Region Hannover, hat jetzt genau das erlebt: Als erster Fahrgast des niedersächsischen ASB-Wünschewagen seit Ausbruch der Pandemie Mitte März, ging es für den todkranken Senioren mit Hilfe der beiden ehrenamtlichen Wunscherfüller Maik Döring und Jean-Pierre Brosy ein letztes Mal ans Steinhuder Meer. Sehnsüchtig hatte sich Kurt nämlich einen Bummel über die Promenade und ein Spargel-Essen in den Strandterrassen in Steinhude gewünscht. Was ursprünglich wegen des schlechten Gesundheitszustandes kurzfristig nur als kleiner Ausflug geplant war, wurde für Meier spontan zu Reise in die Vergangenheit. Denn unterwegs an Bord mobilisierte der Tumorpatient noch einmal alle Kräfte, genoss jeden Augenblick in vollen Zügen. Die ASB-Crew begleitete ihn daraufhin kurzerhand an viele Orte, die im Leben des 80-Jährigen eine besondere Bedeutung hatten: Die Gaststätte „Zur Eiche“ in Garbsen, in der er vor 54 Jahren seiner Frau Brigitte einen Heiratsantrag gemacht hatte. Das Elternhaus in dem er eine so unbeschwerte Kindheit verleben durfte. Und zum Schluss noch ein kurzer Stopp am Haus einer Tochter, die ihm – natürlich mit Abstand – herzlich gratulieren konnte.
Wunscherfüller Brosy: „Jede Wunschfahrt ist einzigartig. Aber diese Reise in Zeiten von Corona war doch noch einmal ganz besonders.“ Denn schließlich mussten zusätzlich zu den „normalen“ Pflege- und Betreuungsaufgaben, die die ehrenamtlichen ASB-Helfer bei jeder Tour mit dem Spezialfahrzeug haben, auch noch Pandemie-bedingt sehr sorgfältig auf die Einhaltung von Abstandsregeln geachtet werden, wurden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen durch das Wünschewagen-Koordinationsteam im Vorfeld deutlich erhöht. Crew-Mitglied Maik Döring: „Wir Wunscherfüller müssen jetzt noch viel mehr miteinander, aber auch mit dem Umfeld des Fahrgastes und den Menschen am Wunschzielort kommunizieren. Zum Glück sind wir beim Wünschewagen alle ,vom Fach‘, also beispielsweise hauptberuflich im Rettungsdienst tätig und wissen, worauf wir achten müssen.“
Mit dem „Neustart“ des ASB-Herzensprojektes in Zeiten von Corona setzen die Samariter ein klares Zeichen: „Wir lassen Sterbenskranke nicht im Stich. Und sind mit unserem Herzensprojekt ‘Der Wünschewagen‘ auch und gerade in Krisenzeiten für sie und ihre Lieben da“, sagt Julia-Marie Meisenburg vom Koordinationsteam. Weil natürlich längst nicht alle Wünsche Todkranker in diesen Tagen in Erfüllung gehen können, fährt das Wünschewagen-Team bis auf Weiteres „zweigleisig“: Zusätzlich zu den eigentlichen Fahrten, können sich „verhinderte Fahrgäste“ – also Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden und Pandemie-bedingt nicht auf „Reise“ gehen können, an das Wünschewagen-Team wenden. Das versucht dann mit Hilfe seines großen (auch sozialen) Netzwerkes die Wünsche Todkranker „quasi aus der Ferne“ zu erfüllen. „Beispielsweise bringen wir einen Blumenstrauß zu jemanden, der im Hospiz lebt und eigentlich noch einmal seinen eigenen Garten sehen wollte. Machbar ist aber auch, Meeresrauschen per Videobotschaft zu Todkranken kommen zu lassen oder Sand und Muscheln vom Strand per Post zu schicken“, so Meisenburg.
*Name geändert