Einmal Olli Schulz auf seinem Hausboot treffen
Dieses Osterwochenende war so ganz anders als alle Ostertage in den vergangenen Jahren. Corona – ja auch, aber viel mehr habe ich die bevorstehende, recht kurzfristige Wunschfahrt von Tim im Kopf. Erst 26 Jahre alt soll er sein, in diesem jungen Leben schon zum dritten Mal an Krebs erkrankt, das erste Mal bereits vor acht Jahren, mit gerade einmal 18.
Immer wieder, so erfahre ich später von seinen Freunden, hat er gegen den Krebs gekämpft und sich sein Leben zurückerobert, nie geklagt und vor allem nie seine gute Laune, seinen Humor und sein positives Denken verloren. Diesmal ist alles anders, Tim bleibt nicht mehr viel Lebenszeit, der Krebs hat gestreut, wie viel Zeit, weiß niemand.
Gegenüber seiner Freundin Solvejg, die in den letzten Monaten immer an seiner Seite ist und ihn begleitet – egal ob im Krankenhaus, auf der Palliativstation oder jetzt im Hospiz an der Kieler Förde – hat er beiläufig den Wunsch geäußert, dass er so gerne noch das Hausboot seines großen YouTube-Idols Olli Schulz besuchen und ihn dort treffen möchte.
Fast wie ein Wink des Schicksals klingt es da, als Solvejg mir berichtet, dass sie von der Erfüllung letzter Wünsche durch den Wünschewagen des ASB seit ein paar Jahren weiß. Vor längerer Zeit hatte sie mal etwas gespendet, als sie beim Einkaufen einen Stand des Wünschewagens sah und sich mit den Ehrenamtlern unterhalten hat – lange bevor sie geglaubt hatte, selbst mal um Unterstützung bei der Erfüllung eines letzten Lebenswunsches zu bitten. Mittwoch vor Ostern meldet sich also Birgit bei mir und erzählt von der bevorstehenden Fahrt. Solvejg selbst hatte das Team von Olli Schulz kontaktiert und von ihrem Freund Tim und seinem letzten Wunsch erzählt. Noch am gleichen Tag antwortete Olli Schulz Solvejg persönlich per SMS, dass Tim auf jeden Fall kommen soll.
Solvejg fragt also bei Birgit, unserer Koordinatorin des Wünschewagens, nach, und wenigen Tage später steht die Fahrt und wir erhalten einen groben Überblick mit den wichtigsten Eckdaten zu Tim, zu Abhol- und Zielort, Zeiten und Begleitung.
So beginnt mein Osterwochenende. Olli Schulz … ja schon mal gehört, aber so ganz genau weiß ich nicht, was er so macht. Deswegen google ich erstmal, höre in seinen Podcast, und dann hat es mich gepackt. Ich sehe über Ostern Folge um Folge der Doku über das Hausboot, den Kauf und die Jahre dauernde, aufwendige Renovierung und die ein oder andere Reiberei zwischen Olli und Fynn, die dieses Projekt gemeinsam machen. Ich denke: Der Typ ist witzig, hoffentlich ist er genauso offen und humorvoll, wenn wir kommen, denn der Anlass ist traurig und kein „lustiger Schulausflug“.
Und dann ist es Dienstagmorgen, mein Wecker klingelt. Anziehen geht an Tagen als Wunscherfüllerin etwas anders als sonst, kein Überlegen, welche Sachen passend wären oder was zusammen gut aussieht, denn es sind immer dieselben. Die Kleidung für die Wunschfahrten des ASB: graues T-Shirt, blauer Pulli, blaue Softshell Jacke mit dem Schriftzug Wünschewagen und Jeans.
Was wird mich heute erwarten? Komme ich mit Nina, meiner heutigen anderen Wunscherfüllerin, gut zurecht? – Und immer dieser Gedanke, bitte, bitte lass beim Coronatest alles glattgehen, damit wir pünktlich starten können. Und nicht zuletzt die Sorge, ob der Fahrgast heute gesundheitlich überhaupt in der Lage ist, mit uns zu seinem Wunsch zu starten.
Ein Becher Kaffee mit ins Auto, schon ein Ritual, und dann geht es los zum Treffpunkt beim ASB und dem Standort des Wünschewagens in Elmshorn. Ein kurzes Vorstellen zwischen Nina und mir, dann der Coronatest und 15 Minuten angespanntes Warten auf das Ergebnis, Erleichterung, alles gut, beide negativ, die Fahrt kann starten. Autocheck, Papiere an Bord und um 9.45 Uhr fahren wir los Richtung Kiel, beide gespannt, wie der Tag heute wird und vor allem, wie es unserem Fahrgast Tim heute geht. Nina und ich – das ist schon mal super, wir verstehen uns auf Anhieb, und so nehmen wir noch schnell einen Kaffee im Drive in mit.
In Kiel angekommen, werden wir im Hospiz sehr freundlich begrüßt. Taschen mit Medikamenten und allerlei Zubehör sind gepackt, wir erhalten Infos zu Tims aktuellem Gesundheitszustand. – Und dann kommt Tim, er wird im Rollstuhl gefahren, dick angezogen, da er schnell friert, begleitet von Freundin Solvejg. Die Perfusoren laufen, Nina und ich stellen uns vor, Tim ist froh, dass wir tatsächlich da sind. Ein Ausflug zusammen mit seiner Freundin, sein letzter Wunsch wird erfüllt. Die engsten Freunde Janine, Julia, Nordice und Selim, werden zum Hausboot kommen. Nach Monaten in Krankenhaus und Hospiz, durch Corona ohne Besuch, endlich mal ein Stück Normalität, ein unbeschwerter Tag.
Tim möchte während der Fahrt lieber liegen, um Kräfte zu sparen. Wir holen die Liege raus, helfen ihm beim Umsteigen, decken ihn gut zu. Dann steigt auch Solvejg ein und setzt sich neben Tim. Den Perfusor schrauben wir an der Liege fest, Heizung an und es geht los Richtung Hamburg. Ich sitze bei den beiden hinten, Nina fährt. Ich komme schnell mit Solvejg ins Gespräch, Tim hört Ollis Podcast und ruht sich aus.
Die beiden schauen sich oft und lange an und halten sich die Hände. Wir haben Glück und kommen gut vorwärts, selbst auf der Autobahn vor Hamburg kein Stau. Zwischendurch ein paar Getränke und etwas Süßes aus unserem kleinen Kühlschrank. Wir verlassen die Autobahn, die Straßen werden immer schmaler und schließlich zum Feldweg, sind wir hier wirklich richtig? Es wird sehr holprig, aber Tim ist geduldig und hält das Geschaukel auf der Liege gut aus. Und dann sind wir am Ziel, um kurz vor 12 Uhr mittags. Wir halten und Tims Freunde warten schon, alle haben morgens einen Coronatest gemacht. Wir stellen den Rollstuhl bereit, holen Tim aus dem Auto und helfen ihm beim Umsteigen. Endlich sieht Tim seine besten Freunde wieder, wenn auch alle mit Maske und auf Abstand. Wie selbstverständlich schieben sie mit Tim los, während Nina das Auto einparkt und wir noch ein paar Sachen von Tim aus dem Auto mitnehmen.
Olli wartet schon mit seinem Hund Juri, und es ist gar nicht so, als würde man auf einen völlig fremden Menschen treffen. Die Stimmung ist gleich ausgelassen und entspannt und die Begrüßung sehr herzlich. Damit Tim auch das Herz des schüchternen Juri gewinnt, hat Olli eine Tüte Leckerli dabei, mit denen Tim schnell dessen Vertrauen gewinnt.
Nun aber rauf auf das Hausboot. Um Tim im Rollstuhl auf das Boot zu tragen, packen Olli und ein Freund schnell mit an, und ruckzuck ist Tim drüben. Erstmal rein ins Boot und rauf auf das Sofa im Wohnzimmer. Alle finden mit Abstand einen Platz, Tim und Olli unterhalten sich viel, über alles Mögliche, wie Freunde es machen würden und über all die Projekte, die Olli so gemacht hat und die Tim alle kennt, vor allem aber über „Sanft & Sorgfältig“, was Tim seit der ersten Sendung mit Spannung verfolgt. Manchmal frag ich mich, wer sich hier mehr freut, Tim darüber, dass er auf dem Hausboot bei Olli ist oder Olli über den Besuch von Tim. Salome, die gute Seele des Hausboots, versorgt uns mit Kaffee, Tee und allem, was wir so brauchen, und immer wieder sagt Olli, dass wir uns fühlen sollen wie zu Hause. Das fällt uns nicht schwer, am schönsten ist es aber, zu erleben, wie sehr Tim diesen Tag genießt, die Gespräche mit Olli, die Zeit mit Solvejg und seinen Freunden.
Das Wetter ist typisch für April: Sonne, Regen, Schneeregen, alles dabei. Der Ofen wird angefeuert. Als die Sonne rauskommt, geht es hoch auf das Deck des Bootes. Bühne, Bar, alles da was man braucht, oder sich für eine coole Party, ein kleines Konzert oder einen Poetry Slam wünschen würde. Leider ist es noch zu kalt, um länger dort zu bleiben, also schnell wieder rein ins warme Wohnzimmer. Jetzt zeigt Olli Tim die Raffinessen des Bootes. Eine Bar fährt aus dem Fußboden, ein Riesen-TV aus der Wand. Alle vergessen die Zeit. Tim sitzt gemütlich auf dem Sofa, die zwei unterhalten sich viel, und abwechselnd sitzen auch Freunde, Solvejg und natürlich Juri bei Tim und Olli. Die Krankheit scheint für ein paar Stunden vergessen in dieser schönen und entspannten Atmosphäre. Olli fragt mich, ob wir wohl auch Hunger haben und ob er Pizza bestellen soll, so wie man es eben oft macht, wenn man Freunde trifft Ich finde die Idee klasse, und schon hat Salome Pizzen bestellt. Lecker!
Dann kommt auch Fynn Kliemann vorbei und kurze Zeit später ein TV-Team von Pro 7 dazu, um mit Olli und Fynn für einen Livestream, der abends bei Late Night Berlin mit Klaas gesendet wird, zu drehen. Wir gehen in der Zeit spazieren, die Sonne scheint, Tim und Solvejg bleiben beim Dreh dabei. Wir unterhalten uns viel mit Tims Freunden und sind beeindruckt über das, was wir hier erfahren. Nina und ich sagen, dass wir es super finden, wie sie sich – so gut es während Corona eben geht – um Tim kümmern und mit ihm umgehen und bekommen die Antwort, dass sie das nur können, weil Tim so stark und positiv ist. Diese Worte bewegen uns sehr.
Nach dem Dreh schauen wir uns auch noch das Tonstudio auf der anderen Seite des Hausboots an. Die Stunden gehen viel zu schnell vorbei, und als wir uns verabschieden, hätte ich am liebsten gesagt, „bis nächstes Mal“. Tim und Olli verabschieden sich, als würden sie sich schon lange kennen.
Während wir schon auf dem Weg über die Brücke zum Auto sind, ruft Tim Olli noch zu: „Ey, und bitte richte Jan Böhmermann liebe Grüße aus und sag ihm, dass er nie aufhören darf bei Twitter, er ist der Beste da.“
Am Auto angekommen, holen Nina und ich langsam und leise die Trage aus dem Wagen und machen die Standheizung an. Der Abschied von den Freunden fällt allen schwer. Geschenke werden ausgetauscht und auch ich habe noch eine Idee. Jeder Fahrgast erhält von uns einen bemalten Elbstein, diesmal entscheide ich mit Nina, dass auch jeder der Freunde sich einen Stein aussucht, als Erinnerung und Verbindung an diesen gemeinsamen Tag mit Tim auf dem Hausboot bei Olli.
Tim wirkt sehr zufrieden. Wieder im Auto hat er noch einen Wunsch, ein kurzer Zwischenstopp beim Drive in, noch einmal einen Burger essen. Ich möchte den beiden etwas Zeit zu zweit lassen und sitze vorn neben Nina, die wieder fährt. Noch auf diesem Rückweg sende ich Solvejg die Fotos per WA, die ich heute gemacht habe, auf der Hinfahrt und den ganzen Tag über, oft unbemerkt, und sie schickt mir ein Herz zurück mit den Worten: „Ganz, ganz tolle Erinnerung von einem sehr wertvollen Tag.“
Gegen 20.30 Uhr sind wir wieder im Hospiz und fahren Tim auf der Trage direkt in sein Zimmer. Er ist sehr müde, aber glücklich! Wir schenken ihm noch unseren Wünschewagenbär. Solvejg bedankt sich bei uns mit von Herzen geschenkter Schokolade. – Dankbarkeit.
Auch Tim bedankt sich mit lieben Worten bei uns, dass wir ihm diesen Wunsch erfüllen konnten, denn ohne uns und den Wünschewagen hätte er diesen Ausflug nicht geschafft – und wir bedanken uns, dass wir ihn begleiten durften und so tolle Menschen kennengelernt haben.
Wie fast immer wird es eine ruhige Rückfahrt nach Elmshorn. Nina und mir ist auch ohne Worte klar, wir haben einen Herzenswunsch erfüllt, das macht zufrieden und wir sind sicher, wir erfüllen gerne wieder gemeinsam einen letzten Wunsch. Wir schaffen es beide noch gerade pünktlich nach Hause, um dort um 23.05 Uhr auf Pro 7 den Livestream zu sehen. Ein langer, ereignisreicher Tag geht zu Ende. Ein letzter Herzenswunsch wurde wahr. Danke Olli und Salome für diesen gemeinsamen Tag, der für Tim so wertvoll war!
Nachtrag
Danke, Olli, für die tollen Worte zu diesem gemeinsamen Tag mit Tim (10.10.1994 bis 11.04.2021) in deinem Podcast Fest&Flauschig vom 10. April, auch über uns zwei „Muttis“. Das motiviert und gibt viel Kraft für weitere Fahrten, um letzte Herzenswünsche zu erfüllen.
Belinda Hüsemann