Interview

3 Jahre Wünschewagen im Saarland

Gerade noch fabrikneu vor der Ludwigskirche bestaunt, hat der Wünschewagen Saarland inzwischen schon stolze 80.000 Kilometer auf dem Tacho. Die drei Jahre vergingen wie im Flug, jetzt wird Geburtstag gefeiert. Allerdings deutlich bescheidener als die Einweihung. Auch hier schiebt die Pandemie ihren Riegel vor. Wie anders gestaltete sich dagegen der 21. Februar 2018.

Damals wurde der Wünschewagen unter großem öffentlichen Interesse in Dienst genommen. Unter die 120 Gäste in der Staatskanzlei mischten sich unter anderem ASB-Präsident Franz Müntefering, Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Schirmherr des Projektes, Innenmister Klaus Bouillion. Der erste Einsatz des Wünschewagens, der eigentlich der zweite gewesen wäre, führte das Team auf Anhieb auf seine seitdem nicht getoppte längste Reise: nach Usedom. 104 Fahrten später möchte sich Projektleiter Jürgen Müller bei allen Sponsoren herzlich bedanken – genau wie bei den ehrenamtlichen Helfern, ohne die der weiße Rettungswagen mit den blau-roten Streifen nicht auf Tour gehen könnte. Einer der 140 Frauen und Männern, die alle zwingend eine medizinische Ausbildung mitbringen, ist Christoph Fries aus Wemmetsweiler, hauptberuflich Gastwirt.

Herr Fries, seit wann gehören Sie zum Team des Wünschewagens?

Christoph Fries: „Ich bin ein ganz normaler Ehrenamtler der ersten Stunde. Meine Frau Sandra und ich haben mit großem Interesse verfolgt, wie in anderen Bundesländern Wünschewagen förmlich aus dem Boden wuchsen und schon darauf gewartet, dass das Saarland nachzieht.“

Wie kam das Projekt zustande?

Jürgen Müller: „Zunächst fehlte es am Startkapital. Große Unterstützung erfuhren wir vom ASB-Bundesverband und etlichen Sponsoren. Besonders zu erwähnen ist das Engagement der Vorstandsvorsitzenden der Globus-Stiftung, Graciela Bruch. Die Anschubfinanzierung der Familie Bruch in Höhe von 100.000 Euro ermöglichte überhaupt erst den Start des Wünschewagen-Projekts im Saarland.“

Am Laufen gehalten wird es nicht zuletzt durch private Spenden wie Ihre, Herr Fries.

Christoph Fries: „Wir haben als Traditionsgastwirtschaft schon immer soziale Projekte unterstützt. Das ist uns einfach ein großes Bedürfnis, etwas zurück zu geben. Spannend für mich ist, dass ich als ehrenamtlicher Wünschewagen-Mitarbeiter jetzt auch mal die andere Seite kennen lerne, da ich oft bei Spendenübergaben dabei bin. Zum Beispiel letztens in einem Ottweiler Tatoo Studio, die hatten Kleeblätter für den guten Zweck gestochen und damit einige tausend Euro für den Wünschewagen zusammen bekommen.

Zurück ins Jahr 2018: Wie verlief der erste Einsatz?

Jürgen Müller: „Bei unserer ersten Fahrt handelte es sich ursprünglich nur um einen Katzensprung: Der Krebspatient wollte ein Santiano Konzert in Saarbrücken besuchen. Zur Routine im Vorfeld gehört immer, abzuklären, ob wir im Falle des Falles reanimieren sollen oder nicht. Er hatte gemeint: Auf der Hinfahrt ja, auf der Rückfahrt nein. Das werde ich nie vergessen.“

Doch der Mann verstarb schon vor dem Konzert.

Jürgen Müller: „Ja, das war tragisch. Wobei genau dieses Konzert dann ohnehin vom Veranstalter abgesagt wurde. Was uns alle sehr bewegte: Die Frau des Verstorbenen hat uns zur Wünschewagen-Einweihung eine Torte gebacken und vorbeigebracht. Das sind so Momente, die einem sehr nahegehen.“

Wohin führte dann die tatsächliche Jungfernfahrt des Wünschewagens?

Jürgen Müller: „Nach Usedom. Das war eine ganz verrückte Geschichte. Unser Fahrgast wollte ursprünglich mit dem Zug an die Ostsee reisen, um dort mit seiner Schwester und der Mutter einen letzten Urlaub zu verbringen – was in seinem Zustand keine wirklich gute Idee war. Am Freitag hatte er die Oberärztin der Palliativstation auf dem Rastpfuhl davon in Kenntnis gesetzt: „Montag fahre ich.“ Die wiederum hatte uns dann sofort informiert. Innerhalb einer Stunde war die Fahrt organisiert.“

Für Sie Herr Fries war das auch das erste Mal. Wie empfanden sie diese Premiere?

Christoph Fries: „Genial. 1000 Kilometer. Mai. 30 Grad. Der zweite Mann war ein guter Kollege aus Trier, den ich bei der Ausbildung kenne gelernt hatte. Wir waren uns sympathisch, die selbe Figur, derselbe Humor. Vor Ort begrüßte uns die Familie mit einem kleinen Empfang, wir haben dann jeder einen Korb mit Usedomer Spezialitäten geschenkt bekommen. Und sind am andere Morgen zurückgefahren.“

Wie ist das Projekt personalisiert?

Jürgen Müller: „Mein Part als einziger hauptamtlicher Mitarbeiter ist alles Administrative. Ich kümmere mich um die Projektfinanzierung und Einwerbung von Spenden bis hin zum Organisieren der Fahrten unseres Spezial-Krankenwagens. Hinter mir stehen 140 ehrenamtliche Helfer. Jede und jeder von ihnen verfügt über eine medizinische Ausbildung, das setzen wir voraus. Außerdem muss jeder Helfer, der zu uns kommt, einen Lehrgang absolvieren.

Ist es schwer, Helfer zu finden?

Jürgen Müller: „Bisher gab es noch nie personelle Engpässe. Das ist ein Selbstläufer. Fluktuation gibt es kaum. Wenn sie die erste Fahrt gemacht haben, wollen sie immer wieder.“

Was reizt die Menschen so an diesem ungewöhnlichen Ehrenamt?

Jürgen Müller: „Dass sie meist mehr zurückbekommen, als sie geben: Zu uns ist vor kurzem ein 65-jährigen Rentner neu ins Team gestoßen. Der meinte nach seinem ersten Einsatz, so viel Dankbarkeit hat er in seinem ganzen Berufsleben als Krankenpfleger nicht erfahren.“

Herr Fries, Was qualifiziert sie als Gastwirt für diesen „Job“?

Christoph Fries: „Während meines Zivildienstes habe ich eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Mir gefiel das, seitdem hat mich diese Tätigkeit mein ganzes Leben begleitet. Zwei Mal im Monat übernehme ich ehrenamtlich eine Schicht im Rettungsdienst des DRK. Ich verfüge auch über eine Zusatzqualifikation in der Notfallseelsorge.“

Lange musste der Wünschewagen Covid-19 wegen in der Garage bleiben. Ist inzwischen wieder eine Fahrt in Sicht?

Jürgen Müller: „Geplant ist aktuell ein Mini-Einsatz noch im Februar. Da will eine Frau von ihrem Wasserbett in ein Pflegebett umziehen, das im Stockwerk darunter steht. Unsere Aufgabe ist, die Patientin die enge Wendeltreppe nach unten zu bringen. Ein Mini-Wunsch, aber anders kommt sie dort nicht hin.“

Wohin ging es bisher schon mit dem Wünschewagen?

Jürgen Müller: „Das ist wirklich weit gefächert: vom Ausflug in die Normandie oder ins Disney-Land über Helene Fischer- oder Beatles Revival-Konzerte bis hin zum Pokalspiel des Lieblings-Fußballvereins oder den Besuch des Sea Life, um noch einmal Haie, Rochen & Co. zu bewundern. 2020 konnten wir noch bis in den Herbst Fahrten realisieren. Wobei das aufgrund der Hygiene-Auflagen und Kontakt-Beschränkungen unter „umgekehrte Wunscherfüllung“ lief. Sprich: Wenn unsere Klientel nicht zum Ort ihrer Wünsche kommen kann, dann kommt der Wunsch halt zu ihnen.

Zum Beispiel?

Jürgen Müller: Im Juli hatte ein Star Wars Fan im Hospiz Saarbrücken Besuch von Sternenkriegern, darunter Darth Vader und Chewbacca. Wir hätten den 39-Jährigen natürlich gern in das neu eröffnete Star Wars-Museum nach Norddeutschland chauffiert. Aber da dies nun mal nicht möglich war, konnten wir wenigstens die Neunkircher Gruppe „Imperial Order“ für diesen Hausbesuch gewinnen. Es war ein tolles Erlebnis – für alle Beteiligten.“

Welches war die schwerste Fahrt bisher?

Jürgen Müller: „Die mit einem siebenjähriger Junge, der sich einen Ausflug ins Legoland gewünscht hatte. Solche Schicksale berühren selbst routinierte Helfer. Um Erfahrungen dieser Art aufzuarbeiten, bevor es posttraumatische Folgen hat, steht unser Nachsorge-Team bereit. Aber meistens überwiegt die Euphorie bei unseren Einsätzen.“

Gab es mal einen Wunsch, der nicht erfüllt werden konnte?

Jürgen Müller: „Nein. Wobei wir einen räumlich begrenzten Aktionsradius haben. Das Ziel muss innerhalb eines Tages erreichbar sein. Mehr ist aufgrund der Schwere des Krankheitszustands unserer Fahrtgäste nicht vertretbar.“

Auch wenn der dritte Geburtstag wohl ohne Party vorbeigehen wird: Haben Sie einen Wunsch?

Jürgen Müller: „Klar: Dass der Wünschewagen bald wieder normal rollen kann. Um dafür auch finanziell bestens gerüstet zu sein, sammeln wir fleißig Spenden. Jeder Euro hilft uns dabei, unheilbar kranken Menschen einen letzten Herzenswunsch zu erfüllen. Denn egal, welches Fahrtziel mit welchem Aufwand vielleicht bald schon wieder angesteuert wird – es kostet den Fahrgast und eine Begleitperson keinen Cent.“