Früher ist Karin* oft mit ihrem Mann, den beiden Schwägerinnen und deren Ehemännern und Kindern im Lechtal gewesen, teilweise fast jedes Wochenende. Über sieben Jahre hinweg besaßen die drei Familien sogar ein gemeinsames Ferienhaus im Lechtal, das als Ausgangspunkt für schöne Wanderungen diente.
Mittlerweile ist die 71-Jährige seit etwa zehn Jahren Witwe und lebt seit einigen Jahren mit der Diagnose ALS. Durch ihre Erkrankung ist sie nicht mehr in der Lage zu schlucken, kann sich kaum bewegen. Sie hat aber noch eine gute Kopfkontrolle, atmet selbständig und schafft es, ab und zu einzelne Worte zu formulieren.
Sie lebt in einem der Donau-Ries-Seniorenheime in Rain am Lech und wird dort von einem SAPV-Team versorgt. Durch die Belegschaft wurden sie und die Schwägerin Julie auf den Wünschewagen aufmerksam. Karin wurden Vorschläge unterbreitet, wo man denn hinfahren könne, doch nichts schien sie zu begeistern – bis ihr selbst einfiel, dass sie gerne noch einmal ins Lechtal möchte.
Wunscherfüllerin Uta aus dem Allgäu berichtet:
„Am 12. Juli war es soweit: Um kurz nach 8 Uhr fuhren wir vor dem Seniorenheim vor, um unseren Fahrgast abzuholen. Karin saß bereits in ihrem Pflegerollstuhl, strahlte uns an und bestätigte kopfnickend, dass sie sich sehr auf den Ausflug freut. Unten am Wünschewagen stellte sie uns unfreiwillig vor ein kleines Problem: Normalerweise sitzt sie den ganzen Tag im Rollstuhl und sie ging davon aus, dass wir sie sitzend transportieren würden. Auf die Trage wollte sie sich auf keinen Fall legen lassen! Gar nicht. Nein. Kopfschütteln. Also versuchten wir zu dritt, unseren Fahrgast in den Wünschewagen zu bewegen. Aber sie schaffte nur die zwei Schritte in der Ebene bis zum Trittbrett und wir mussten den Versuch abbrechen. Karin sah rasch ein, dass es nur liegend funktionieren würde und so konnte auch Schwägerin Julie im Wünschewagen auf dem freien Sitzplatz mitfahren.
Unterwegs erzählte mir Julie die Lebensgeschichte ihrer Schwägerin und dass sie im Lechtal Freundschaft mit zwei Tirolerinnen geschlossen hatte, die früher regelmäßig besucht wurden. Auch nach Ausbruch der ALS wurde der Kontakt telefonisch aufrecht erhalten, bis Karin schließlich die Fähigkeit zu sprechen weitestgehend verloren gegangen war. Diese beiden Damen wollten wir besuchen.
Die Fahrt verlief problemlos, ein Stopp wurde eingelegt, um unseren Fahrgast umzulagern und um die Sondenkost zu wechseln. In Stanzach besuchten wir erst die eine Freundin. Diese umarmte Karin herzlich, Tränen der Wiedersehensfreude flossen bei beiden Frauen und unserem Fahrgast wurde ein selbstgebasteltes Armkettchen über das Handgelenk gestreift.
Julies Ehemann und deren zwei erwachsene Töchter waren dem Wünschewagen im privaten PKW gefolgt. Sie hatten einen Tisch in einem Ausflugsrestaurant nahe des Lechs reserviert. Dort durfte Karin wieder in ihren Rollstuhl umsteigen. Wir platzierten sie so am Tisch, dass sie einen herrlichen Blick auf das Bergpanorama und das davor liegende Tal hatte. Es störte sie überhaupt nicht, uns allen beim Essen zuzusehen. Sie lauschte den Erzählungen über aktuelle Begebenheiten in ihrer Verwandtschaft und es wurde an Geschichten von früher und an Familienanekdoten erinnert.
Nach dem Essen brachten wir unseren Fahrgast nach Elmen zu ihrer zweiten Verabredung. Auch hier ein herzlicher Empfang. Karin durfte im Rollstuhl im Garten sitzen und streckte ihr Gesicht in die Sonne, während wir drei Wunscherfüller:innen es uns ums Eck des Hauses im Schatten gemütlich machten. Die Freundin brachte auch uns selbstgebackenen Johannisbeerkuchen, Wasser, Limo und Kaffee.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde kam der Schwager zu uns. Karin hatte wohl eben den Wunsch geäußert, das Grab ihres Mannes zu besuchen. Das Grab in Tierhaupten liegt direkt auf dem Heimweg. Kein Umweg nötig, aber ein Zwischenstopp und erneutes Umlagern. Auch wenn das für die immobile Karin eine weitere Anstrengung bedeuten würde, wollten wir ihr diesen einen kleinen Wunsch noch erfüllen.
Auf der Heimfahrt fielen unserem Fahrgast immer mal wieder die Augen kurz zu. Ich meinte, dass sie doch ein bisschen dösen könne, das beantwortete sie mit einem Kopfschütteln und einem strahlenden Lächeln.
Nach dem Besuch auf dem Friedhof brachten wir Karin auf ihr Zimmer im Seniorenheim. Leider hatten uns die Rosen die Wärme des Tages trotz Nachfüllen des Wassers übelgenommen, sodass wir unserem Fahrgast zum Abschied lediglich das Fotoalbum überreichen konnten. Carmen blätterte es mit ihr durch und die mittlerweile ziemlich erschöpfte Dame lächelte immer noch.
Ihre Schwägerin und der Schwager waren bis jetzt mit dabei, um ihr eine gute Nacht zu wünschen.
Zu fünft verließen wir das Zimmer und das Heim. Das Ehepaar war sichtlich gerührt und versicherte uns, dass wir ihre Verwandte sehr glücklich gemacht hatten.
Wir traten mehr als zufrieden den Heimweg an und erreichten gegen 22 Uhr die Garage des Wünschewagens, Julies abschließende Worten uns noch in den Ohren: ‚So einen schönen Ausflug hätten wir alleine ohne den Wünschewagen nicht machen können.‘“
*Name geändert