Noch einmal ins Festspielhaus nach Füssen

Ines Rudolf, Wunscherfüllerin unseres Teams aus dem Allgäu, berichtet von einem ganz besonderen Freundinnen-Tag in Füssen:„Mitte August erreichte uns der Wunsch von Lisa*, die mit ihrer Freundin Ina noch einmal ins Festspielhaus nach Füssen fahren wollte. So, wie sie es schon seit drei Jahren immer im Mai mit ihr gemacht hatte...

Sie leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs, lebt seit Juli im Hospiz Illertissen und ist noch zu Fuß unterwegs. Da ihre Freundin, wie ursprünglich auch sie selbst, aus Mittelfranken kommt und vorher keinen Urlaub bekam, zögerte sich der Termin dieser Wunschfahrt über vier Wochen hinaus, was wir mit Sorge so aufnahmen… Lisa sprach sich vehement gegen unsere leisen Befürchtungen aus, indem sie mit Überzeugung sagte: ‚Vorher sterbe ich nicht!‘ Ob die Fahrt wirklich noch realisierbar sein würde?

Oh ja, das war sie! Sogar mit Begleitung von zwei Reportern des Bayrischen Rundfunks, in Festtagskleidung und auch heute zu Fuß!

Als Sonja, Alois und ich am Benhild-Hospiz in Illertissen eintrafen, klärte Sonja zunächst einmal die Rahmenbedingungen für die Reportage ab, um sicherzugehen, dass dieser Tag nur unserem Fahrgast und ihrer Freundin gehörte. Aber das war für das TV-Team ohnehin selbstverständlich.

So gingen wir ins Hospiz, um Lisa in Empfang zu nehmen. Sie kam nach wenigen Minuten, eingehakt bei ihrer Freundin, den Gang entlang, begrüßte alle freudig und mich tatsächlich mit ‚Ja hallo, Frau Rudolf!‘ Wir kannten uns bereits von der Palliativstation, was uns beide überraschte und sehr freute.

Wir nahmen die Übergabe des Pflegepersonals sowie die Bedarfsmedikamente entgegen, verstauten alles im Wünsche- und Rundfunkwagen und fuhren voller Vorfreude Richtung Füssen. Die zwei Freundinnen plapperten munter drauflos, erzählten von ihrem Kennenlernen, den gemeinsamen Radtouren im Allgäu und dem Glück, diesen wunderbaren Ausflug erleben zu dürfen.

Als wir auf Höhe Memmingen am Gebäude ‚Möbel Wassermann‘ vorbeifuhren, zeigte Lisa aufgeregt nach draußen. ‚Schau, hier hab‘ ich gelebt, dort bin ich immer spazieren gegangen und…‘ Nach kurzem Innehalten sagte sie dann in spürbar innerem Frieden: ‚Und wisst ihr, was das Schönste ist? Ich empfinde keine Wehmut darüber, dass die Zeit vorbei ist! Nein – ich bin dankbar dafür, dass ich sie erleben durfte!‘ Welch ein Geschenk…

In Füssen angekommen, stieg Lisa noch etwas steif von der Fahrt von der Trage, streckte sich, hängte sich ihre Schmerzpumpe über die Schulter und schaute entzückt hinüber zum Schloss Neuschwanstein – auf den Forggensee, zu jener Stelle am anderen Ufer, wo sie mit Ina immer schwimmen gegangen war. Sie hakte sich bei ihrer Freundin unter, legte den Kopf an ihre Schulter und sagte mit tiefer Dankbarkeit: ‚Ina, ist es nicht wunderschön, dass es uns heute noch einmal möglich ist, hier zu sein? Das hätte ich niemals für möglich gehalten!‘ Ina stimmte ihr zu und beschrieb mit den Händen einen großen Kreis um den gesamten Uferbereich. ‚Und weißt Du noch? Hier sind wir überall mit dem Fahrrad gefahren!‘ ‚Und dann ins Musical gegangen‘, ergänzte unser Fahrgast in schönen Erinnerungen schwelgend. Es gelang mir gerade noch, ein paar Fotos von ihnen unter einer Palme vor diesem Panorama zu machen, bevor sie uns und die Reporter völlig zu vergessen schienen und zwischen Festspielhaus und Forggensee-Ufer fröhlich plaudernd davongingen. Der Rollstuhl war nur als Transportmittel für Medikamente und Jacken im Einsatz, so viel war klar!

Als leichter Regen einsetzte, der sich schnell mit böigem Wind zu einer unangenehmen Mischung entwickelte, ließen wir uns gerne von Frau Böck, der sehr liebevollen Veranstaltungsmanagerin des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen, in den Speisesaal geleiten, in dem ein schön gedeckter Tisch für uns reserviert war. Plötzlich bekam Lisa jedoch einen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck und bat um ihre Bedarfsmedikation. Sie hatte jedoch keine Lust, dafür extra zurück in den Wünschewagen gebracht zu werden und beschloss: ‚Das ist doch jetzt auch schon egal, bleiben wir hier!‘ So schoben wir die Servietten, Gläser und Besteck zur Seite, richteten das notwendige Equipment her, verabreichten es unserem Fahrgast so unauffällig wie möglich und beobachteten dankbar ihre zunehmende Entspannung und schließlich ihre Schmerzfreiheit. Nun war die Zeit für den Genuss eines herrlichen Menüs gekommen, zu dem wir allesamt vom Chef des Hauses eingeladen wurden. Wow, welch ein großzügiges Geschenk!

Eine Stunde später kündigte ein Gong den baldigen Beginn des Musicals an: ‚Die Schöne und das Biest‘.

Wieder wurden wir von Frau Böck durch die Menschenmenge geleitet, so dass wir ohne kräftezehrende Wartezeiten zu unserem Sitzplatz gelangten. Als wir den festlichen Saal betraten, hielt Lisa kurz inne und sog tief bewegt die Theateratmosphäre ein. Sie sagte mehrmals, dass sie es kaum glauben könne und morgen nochmals nachfragen müsse, ob dies wirklich wahr sei, oder sie vielleicht doch nur träume.

Dann erlosch das Licht, es wurde leise im Saal, die Musik erklang und der Zauber hüllte uns in seine bunten Gewänder…

Erst nach gut zwei Stunden tauchten wir wieder aus dem wunderbaren Märchen auf und waren erfüllt von seiner Botschaft: ‚Die Schönheit wohnt im Herzen eines jeden Menschen. Nicht im Äußeren. Sie gilt es zu sehen und an die Liebe zu glauben, denn nur die Liebe vermag, das Dunkle zu wandeln!‘ Vor allem das Schlusslied mit seinem Text berührte unseren Fahrgast sehr.

Sie erzählte später, dass es jenes Lied sei, welches die Musiktherapeutin ihr jeden Montag vorspiele. Währenddessen schließe sie stets die Augen und sei so völlig eingehüllt in das wunderbar glitzernde Kleid der schönen tanzenden Bella, die um das äußerlich so hässliche Biest herumwirble und sich nicht fürchte. So erlebe sie sich nun auch selbst: Als die schöne Bella, die das Biest in sich bezähmt hat. Diese Seite habe sie erst nach ihrer tiefen Trauer während ihres Aufenthalts auf der Palliativstation und im Hospiz in sich entdeckt. Sie sei zutiefst dankbar dafür, dass ihr dies durch viele wertschätzende Gespräche mit den Pflegekräften gelungen sei.

Als wir nach der Vorstellung im Foyer gebeten wurden, kurz zu warten, tauschten die zwei Freundinnen erstaunte Blicke aus und verrieten eindeutig ihre fränkischen Wurzeln, als ihnen ein ‚Allmächt!‘ herausrutschte: Die Tür öffnete sich und die schöne Bella trat in ihrem glitzernden Kleid, gefolgt von vielen weiteren wunderbaren Schauspielern, heraus und alle nahmen sie in ihre Mitte. Welch ein Moment! Lisa konnte ihr Glück kaum fassen. Sie erhielt dann auch noch ein Plakat mit Autogrammen, welches sie in ‚ihrem großen Kinderzimmer‘ aufhängen wird, wie sie sofort beschloss. Es war alles so unfassbar schön!

Wieder zurück im Wünschewagen, dachten wir alle, dass nun der Moment gekommen sei, in dem unserem Fahrgast vor glücklicher Erschöpfung die Augen zufallen würden. Von wegen! Die Tür wurde geschlossen, der Motor gestartet, als eine zufriedene Stimme unter dem Sternenhimmel sagte ‚Jetzt wäre ein Bienenstich recht!‘ Der Wunsch wurde an Sonja im Fahrerraum weitergegeben, der Motor wieder abgestellt, Herr Rietzler, der Chef des Festspielhauses fragte seine Mitarbeiterin, welche Konditorei in der Umgebung zu abendlicher Stunde denn diesen Wunsch noch erfüllen konnte. Fantastisch!

Wenige Minuten später saßen wir Kuchen essend und Kaffee trinkend im Wünschewagen und ließen den Tag Revue passieren.

Gesättigt traten wir anschließend aber wirklich die Heimfahrt an und Lisa erzählte immer und immer wieder von ihrer neuen Sicht auf ihr Leben. Draußen waren dunkle Regenwolken am Himmel zu sehen, dazwischen leuchtend blaue Flecken und auch die Sonne kam heraus. So sei es bei ihr auch: Manchmal würden dunkle Wolken aufziehen, aber sie habe gelernt, sich mehr auf die blauen Flecken zu konzentrieren und würde dann sehr intensiv vor allem das Helle der Sonne genießen. Der Ring an ihrem Finger, der ihr nach dem Kauf plötzlich nicht mehr gefallen hatte, den sie heute nach 10 Jahren das erste Mal angezogen habe. Er war vor der Fahrt eher das Biest gewesen und habe sich durch das zauberhafte Musical im Festspielhaus am Forggensee nun zum Schönen gewandelt. Durch ihn würde sie immer zurückkehren können an diesen Ort.

Gegen Abend erreichten wir das Hospiz in Illertissen, begleiteten unseren Fahrgast mit Freundin hinein, versammelten uns noch einmal um den dortigen Esstisch und verabschiedeten uns mit einem kleinen Fotoalbum als Erinnerung.

Überwältigt vor Dankbarkeit und Glück strahlte Lisa uns an und sagte mit einer Handbewegung Richtung Himmel: ‚Danke – danke für alles! Diese Bilder nehme ich mit hinauf!‘

Ich bin sicher, dass ich im Namen aller Wunscherfüller:innen spreche, wenn ich sage: Solche Augenblicke erleben zu dürfen, erfüllt nicht nur unser Herz, sondern auch das Wort ‚Ehrenamt‘ mit Leben!“

*Name geändert