Wenn man weiß, dass der Lebensweg zu Ende geht, wenn man sich mit dem Tod abgefunden hat und diesem in die Augen schaut und wenn man dann noch ganz bewusst die nötige Dialyse absetzt, ist es an der Zeit, Ruhe zu finden.
Vielleicht war dies ja genau der Zeitpunkt, als Marion* beschloss, sich ihren eigenen Baum im Friedwald auszusuchen und ihren inneren Frieden zu finden.
So eine Wunschumsetzung muss oft schnell gehen. Also fuhr unser Team aus dem Allgäu schon einen Tag nach dem Anruf zu unserem Fahrgast. Obwohl es etwas zu früh vor Ort war, wartete Marion schon voller Erwartung. Aber sehr schnell war zu erkennen, dass sie recht kraftlos und schmerzgeplagt war. Zum Glück ist die Trage im Wünschewagen sehr komfortabel, sodass sie sich während der Fahrt etwas ausruhen konnte. Als Begleitung kam ihre Schwägerin mit, die anfangs noch sehr nervös und angespannt wirkte. Und das hatte seinen Grund: Da Marion immer für sie da gewesen sei, wollte sie ihr unbedingt etwas zurückgeben und hoffte einfach, dass alles klappen würde.
Nach unproblematischer Fahrt erreichte man den Parkplatz des Friedwaldes. Der Transfer in den Rollstuhl verursachte Marion deutlich Schmerzen, sodass sie eine Schmerztablette nehmen musste. Erst später erfuhren unsere Wunscherfüller:innen, dass sie auf die morgendliche Morphinspritze verzichtet hatte, um alles wach und mit allen Sinnen wahrnehmen zu können.
Ein etwas beschwerlicher Weg führte dann zu „ihrem Baum“. Dort war Marion sichtlich berührt. Was ihr wohl durch den Kopf ging? Es wirkte, als ob sie die Kraft und die Magie dieses Ortes vollständig in sich aufnahm. Sie genoss die Stille im Wald, die Farben einzelner Blümchen, die sich durch das Laub am Boden hervortrauten und das weiche Moos an den Stämmen. Auch wenn das schützende Blätterdach aufgrund der Jahreszeit noch fehlte, war dies ein Ort, der Geborgenheit ausstrahlte. Unser Team ließ die beiden etwas alleine, denn dieser Augenblick gehörte nur ihnen.
Dann ging es bald zurück zum Wünschewagen. Während die Schwägerin richtig auftaute, voller Aktionismus war und Hunger hatte, wollte Marion eher nach Hause. Ein letzter Rundgang durch den Garten, ein letzter Blick auf die Blumen, ein letztes Mal den Duft genießen – und dann waren die Kräfte wirklich am Ende. Wir halfen ihr noch ins Bett, gaben ihr ihre Schmerzspritze und so konnte sie noch paar Worte mit ihrem Ehemann wechseln, der selbst pflegebedürftig ist und sehr an seiner Frau hängt.
Drei Tage später ist Marion verstorben. Aber sie hatte sich noch ihren eigenen Baum aussuchen und die Stille dieses Ortes genießen können…